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Zur Entschädigungsklage aufgrund überlanger Verfahrensdauer

BFH 2.12.2015, X K 7/14

Die An­wen­dung der in § 198 Abs. 1 S. 2 GVG nach Art von Re­gel­bei­spie­len ge­nann­ten Kri­te­rien bie­tet kein ein­deu­ti­ges Bild. Liegt ein Grund vor, ein Ver­fah­ren zum Ru­hen zu brin­gen, hat das FG das Ru­hen aber nicht an­ge­regt, so recht­fer­tigt dies al­lein noch nicht, statt ei­ner Ent­schädi­gung in Geld le­dig­lich die Fest­stel­lung un­an­ge­mes­se­ner Ver­fah­rens­dauer aus­zu­spre­chen.

Der Sach­ver­halt:
Die Kläge­rin war als An­ge­stellte bei der X-GmbH tätig ge­we­sen. De­ren al­lei­nige Ge­sell­schaf­te­rin hatte u.a. der Kläge­rin bei ei­ner Ver­an­stal­tung im März 2007 einen Scheck über­reicht. In einem Be­gleit­schrei­ben hieß es, es han­dele sich um eine Schen­kung, über die das zuständige Fi­nanz­amt in­for­miert wor­den sei. Die Kläge­rin löste den Scheck i.H.v. 5.200 € ein. Eine Schen­kung­steu­er­erklärung gab sie we­gen des Frei­be­trags nicht ab.

Im März 2010 er­ho­ben die Kläger Klage, mit der sie ihre Auf­fas­sung wei­ter ver­folg­ten, es habe sich um eine Schen­kung ge­han­delt. Nach Ein­gang der Kla­ge­er­wi­de­rung im Mai 2010 be­an­trag­ten die Kläger Ak­ten­ein­sicht, die schließlich nach or­ga­ni­sa­to­ri­schen Schwie­rig­kei­ten im Ok­to­ber 2010 statt­fand. Im April 2011 erklärten die Kläger, die Ak­ten­ein­sicht habe keine neuen Er­kennt­nisse ge­bracht, und ba­ten um Ter­mi­nie­rung.

Der Be­richt­er­stat­ter des FG teilte mit, eine Ter­mi­nie­rung sei nicht ab­seh­bar. Im De­zem­ber 2011 er­ho­ben die Kläger Verzöge­rungsrüge. Dar­auf­hin erläuterte der Vor­sit­zende, dass we­gen der Ge­schäfts­lage in ab­seh­ba­rer Zeit nicht mit ei­ner Ent­schei­dung zu rech­nen sei. Im Ok­to­ber 2012 er­ho­ben die Kläger eine zweite und im April 2013 eine dritte Verzöge­rungsrüge.

Im April 2013 lud das FG zur münd­li­chen Ver­hand­lung am 7.5.2013. Kurz vor dem Ter­min über­mit­telte das Fi­nanz­amt einen durch die Kläger persönlich ge­stell­ten An­trag, das Ru­hen des Ein­spruchs­ver­fah­rens an­zu­ord­nen, bis der BFH rechtskräftig über die Re­vi­si­ons­ver­fah­ren in gleich­ge­la­ger­ten Fällen ent­schie­den habe. Der Pro­zess­be­vollmäch­tigte erläuterte, es han­dele sich um ein Miss­verständ­nis. Mit Ur­teil vom 7.5.2013, zu­ge­stellt am 17. bzw. 28.5.2013, wies das FG die Klage ab. Die Be­schwerde ge­gen die Nicht­zu­las­sung der Re­vi­sion wurde vom BFH als un­begründet zurück­ge­wie­sen. Dar­auf­hin be­gehr­ten die Kläger Ent­schädi­gung nach § 198 GVG. Der BFH gab der Klage statt.

Gründe:
Die Dauer des Aus­gangs­ver­fah­rens war im Um­fang von zwölf Mo­na­ten un­an­ge­mes­sen. Dafür ist an je­den der Kläger eine Ent­schädi­gung i.H.v. 1.200 € zu leis­ten.

Der Ent­schädi­gungs­an­spruch nach § 198 Abs. 1 S. 1 GVG setzt u.a. die un­an­ge­mes­sene Dauer des Ge­richts­ver­fah­rens vor­aus. Die An­ge­mes­sen­heit der Ver­fah­rens­dauer rich­tet sich gem. § 198 Abs. 1 S. 2 GVG nach den Umständen des Ein­zel­fal­les, ins­be­son­dere nach der Schwie­rig­keit und Be­deu­tung des Ver­fah­rens und nach dem Ver­hal­ten der Ver­fah­rens­be­tei­lig­ten und Drit­ter. Die An­wen­dung der in § 198 Abs. 1 S. 2 GVG nach Art von Re­gel­bei­spie­len ge­nann­ten Kri­te­rien bie­tet kein ein­deu­ti­ges Bild. Die Schwie­rig­keit des Ver­fah­rens war im vor­lie­gen­den Fall je­den­falls nicht un­ter­durch­schnitt­lich, seine Be­deu­tung ge­mes­sen an der durch die strei­ti­gen Einkünfte ver­ur­sach­ten Steu­er­be­las­tung im mitt­le­ren Be­reich. Al­ler­dings hatte das kläge­ri­sche Vor­brin­gen mit sei­nen un­er­heb­li­chen Be­weis­an­trit­ten den Rechts­streit für das FG kom­ple­xer er­schei­nen las­sen als er tatsäch­lich war.

Der Um­fang der Verzöge­rung er­gab sich aus ei­ner Be­trach­tung des kon­kre­ten Ver­fah­ren­sab­laufs. Die er­ste Phase war ent­we­der be­reits im Ok­to­ber 2010 oder kurz dar­auf, spätes­tens aber im April 2011 be­en­det. Das FG hätte gut zwei Jahre nach Ein­gang der Klage und da­mit im März 2012 mit der Be­ar­bei­tung des Ver­fah­rens be­gin­nen müssen. Es war auch nicht des­we­gen ab April oder Mai 2011 zur vor­ran­gi­gen Be­ar­bei­tung ver­pflich­tet, weil die Kläger im April 2011 vor­ge­tra­gen hat­ten, das Ver­fah­ren sei Be­zugs­ver­fah­ren für zahl­rei­che ru­hende Ein­spruchs­ver­fah­ren. Diese Be­haup­tung war nicht be­legt. Die Kläger hat­ten sich selbst hier­auf auch nicht mehr be­ru­fen.

Erst mit der im April 2013 verfügten La­dung zur münd­li­chen Ver­hand­lung hatte das FG das Ver­fah­ren wei­ter be­trie­ben. In vollen Mo­na­ten ge­rech­net war da­nach das Ver­fah­ren von April 2012 bis März 2013 und da­mit für ins­ge­samt zwölf Mo­nate als verzögert an­zu­se­hen. Für diese Verzöge­rung ist Ent­schädi­gung zu zah­len. Liegt ein Grund vor, ein Ver­fah­ren zum Ru­hen zu brin­gen, hat das FG das Ru­hen aber nicht an­ge­regt, so recht­fer­tigt dies al­lein noch nicht, statt ei­ner Ent­schädi­gung in Geld le­dig­lich die Fest­stel­lung un­an­ge­mes­se­ner Ver­fah­rens­dauer aus­zu­spre­chen.

Link­hin­weis:

  • Der Voll­text der Ent­schei­dung ist auf der Home­page des BFH veröff­ent­licht.
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