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Vollstationäre Pflegeeinrichtung für Demenzkranke als Wohnungen?

FG Münster v. 13.12.2018 - 3 K 34/16 EW

Dass Türen, die zu Wohn­grup­pen in ei­ner voll­sta­tionären Pfle­ge­ein­rich­tung für De­menz­kranke führen, theo­re­ti­sch ver­schließbar sind, wenn der Blind­zy­lin­der aus­ge­tauscht wird, führt nicht zwangsläufig dazu, dass eine Woh­nung i.S.d. GrStG vor­liegt. Der Bau­herr ei­ner Ein­rich­tung mit Pflege- und Be­treu­ungs­leis­tun­gen hat vielfältige Vor­schrif­ten zu be­ach­ten, ins­be­son­dere im Hin­blick auf den Brand­schutz. Die Re­vi­sion war zu­zu­las­sen, da eine Viel­zahl ver­gleich­ba­rer Ein­rich­tun­gen in ver­schie­de­nen Bun­desländern be­trof­fen ist.

Der Sach­ver­halt:
Die Kläge­rin ist eine ge­meinnützige GmbH (gGmbH). Sie hatte eine Wohn­an­lage für Se­nio­ren (Pfle­ge­ein­rich­tung für 80 Be­woh­ner) er­rich­ten las­sen, die im Jahr 2013 be­zugs­fer­tig ge­wor­den ist. Bei der Ein­rich­tung han­delt es sich um eine voll­sta­tionäre Pfle­ge­ein­rich­tung, die ins­be­son­dere von Men­schen mit schwe­rer und mit­tel­schwe­rer De­menz be­wohnt wird. Fast 70 % der Pa­ti­en­ten wie­sen eine sog. ein­ge­schränkte Al­ters­kom­pe­tenz auf. Dies be­deu­tet, dass sich die Be­woh­ner selbst nicht ver­sor­gen können und ständi­ger me­di­zi­ni­scher und pfle­ge­ri­scher Be­treu­ung bedürfen. Außen am Gebäude be­fin­det sich ein Brief­kas­ten mit der Auf­schrift "Al­ten­zen­trum". Für die ge­samte Ein­rich­tung gibt es nur eine Klin­gel. Die Zim­mer der Be­woh­ner sind ab­schließbar, d. h. die Be­woh­ner können sie von in­nen bzw. außen ver­schließen. Die Türen sind aber von außen mit dem Schlüssel je­der­zeit öffen­bar, auch wenn in­nen der Schlüssel steckt.

Die Kläge­rin be­an­tragte die Be­frei­ung von der Grund­steuer nach § 5 Abs. 1 GrStG i. V. m. §§ 3 und 4 GrStG. Das Fi­nanz­amt folgte dem An­trag al­ler­dings nicht und be­wer­tete das Grundstück als Miet­wohn­grundstück und setzte einen Ein­heits­wert fest. Die Kläge­rin war der An­sicht, we­der die ein­zel­nen Zim­mer der Be­woh­ner noch die sechs Wohn­grup­pen seien als Woh­nun­gen i.S.v. § 5 Abs. 2 GrStG zu be­han­deln. Bei den ein­zel­nen Zim­mern der Be­woh­ner sei dar­auf hin­zu­wei­sen, dass diese Räum­lich­kei­ten nicht über eine Küche bzw. Kochmöglich­kei­ten verfügten.

Das FG gab der Klage statt. Al­ler­dings wurde die Re­vi­sion zum BFH zu­ge­las­sen.

Die Gründe:
Bei An­wen­dung der von der Recht­spre­chung ent­wi­ckel­ten Rechts­grundsätze zum Woh­nungs­be­griff i.S.d. Be­wer­tungs- und Grund­steu­er­rechts, hat der Se­nat die Auf­fas­sung ge­won­nen, dass im Streit­fall keine Woh­nun­gen vor­lie­gen.

Nach BFH-Recht­spre­chung ist für das Vor­lie­gen ei­ner Woh­nung ent­schei­dend, dass fremde Dritte kei­nen freien Zu­gang ha­ben (BFH-Urt. v. 30.4.1982, III R 33/80 und v. 11.4.2006, II R 77/04). Im vor­lie­gen­den Fall ha­ben aber fremde Dritte freien Zu­gang. Die­ser ist für je­den Be­su­cher bis 18 Uhr un­ge­hin­dert durch die Au­to­ma­tiktür zum Gebäude möglich und von dort über das Trep­pen­haus bzw. den Auf­zug zu den Wohn­ein­hei­ten, die aus dem Ge­mein­schafts­raum mit Küche und den ein­zel­nen Zim­mern der Be­woh­ner führen. Dass die Au­to­ma­tiktür ab 18 Uhr ver­schlos­sen ist, ändert am un­ge­hin­der­ten Zu­gang zu den Wohn­be­rei­chen nichts, denn wenn der Türöff­ner nach Klin­geln durch das Pfle­ge­per­so­nal betätigt wird, hat der Be­su­cher wie­der un­ge­hin­der­ten Zu­gang. Der Be­woh­ner kann diese Tür von sei­nem Zim­mer aus we­der ver­schließen noch öff­nen.

Es fehlt wei­ter an der Ab­ge­schlos­sen­heit. Dass die Türen, die zu den Wohn­grup­pen führen, theo­re­ti­sch ver­schließbar sind, wenn der Blind­zy­lin­der aus­ge­tauscht wird, führt im Streit­fall nicht dazu, dass eine Woh­nung i.S.d. GrStG vor­liegt. Denn die Türen sind nicht des­we­gen mit Blind­zy­lin­dern ver­se­hen, weil es sich um Ent­schei­dung des Bau­herrn bzw. des Ei­gentümers han­delt. Der Bau­herr ei­ner Ein­rich­tung mit Pflege- und Be­treu­ungs­leis­tun­gen hat vielfältige Vor­schrif­ten zu be­ach­ten, ins­be­son­dere im Hin­blick auf den Brand­schutz. Gewähreis­tet wer­den muss, dass die Be­woh­ner im Brand­fall schnell geöff­net können, und zwar so­wohl in Fluch­trich­tung als auch in der Ge­gen­rich­tung.

Zu be­ach­ten ist u. a. § 54 der Lan­des­bau­ord­nung für NRW, wo­nach für sog. Son­der­bau­ten, wie z. B. die Pfle­ge­ein­rich­tung der Kläge­rin, be­son­dere Vor­schrif­ten u. a. für den Brand­schutz be­ste­hen. In­so­fern un­ter­schei­det sich der vor­lie­gende Fall auch von dem BFH-Ur­teil v. 11.4.2006 (II R 77/04). Denn dort wa­ren die zu den ein­zel­nen Wohn­grup­pen vom Haus­ein­gang bzw. Trep­pen­haus herführen­den Türen ab­schließbar. Auch ist es im Streit­fall nicht so, dass tatsäch­lich ab­schließbare Türen auf­grund der kon­kre­ten Nut­zung nicht ab­ge­schlos­sen wer­den. Viel­mehr ist die Nicht­ab­schließbar­keit der zu den Wohn­grup­pen führen­den Türen Teil des bau­ord­nungs­recht­li­chen Brand­schutz­kon­zepts.

Die Re­vi­sion war zu­zu­las­sen, da eine Viel­zahl ver­gleich­ba­rer Ein­rich­tun­gen in ver­schie­de­nen Bun­desländern be­trof­fen ist.

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