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Verfassungsbeschwerden und Organstreitverfahren gegen ESM und Fiskalpakt erfolglos

BVerfG 18.3.2014, 2 BvR 1390/12 u.a.

Trotz der durch die Er­rich­tung des Eu­ropäischen Sta­bi­litätsme­cha­nis­mus, den Fis­kal­pakt so­wie weiktere Zu­stim­mungs- und Be­gleit­ge­setze ein­ge­gan­ge­nen Ver­pflich­tun­gen bleibt die Haus­halts­au­to­no­mie des Deut­schen Bun­des­ta­ges hin­rei­chend ge­wahrt. Es ist je­doch haus­halts­recht­lich si­cher­zu­stel­len, dass et­waige Ka­pi­tala­brufe nach dem ESM-Ver­trag im Rah­men der ver­ein­bar­ten Ober­gren­zen frist­ge­recht und vollständig erfüllt wer­den können und so­mit eine Aus­set­zung von Stimm­rech­ten Deutsch­lands in den ESM-Gre­mien zu­verlässig aus­ge­schlos­sen bleibt.

Der Sach­ver­halt:
Das Or­gan­streit­ver­fah­ren und die Ver­fas­sungs­be­schwer­den rich­ten sich ge­gen deut­sche und eu­ropäische Rechts­akte im Zu­sam­men­hang mit der Er­rich­tung des Eu­ropäischen Sta­bi­litätsme­cha­nis­mus (ESM) und dem Ab­schluss des Ver­tra­ges über Sta­bi­lität, Ko­or­di­nie­rung und Steue­rung in der Wirt­schafts- und Währungs­union (Fis­kal­pakt), ge­gen Maßnah­men der Eu­ropäischen Zen­tral­bank (so­weit nicht ver­fah­rens­recht­lich ab­ge­trennt) so­wie ge­gen Un­ter­las­sun­gen des Bun­des­ge­setz­ge­bers und der Bun­des­re­gie­rung im ge­nann­ten Zu­sam­men­hang.

Mit Ur­teil vom 12.12.2012 hatte es das BVerfG un­ter Maßga­ben ab­ge­lehnt, eine einst­wei­lige An­ord­nung ge­gen die Ra­ti­fi­zie­rung des ESM-Ver­tra­ges so­wie des Fis­kal­pak­tes und die Aus­fer­ti­gung der in­ner­staat­li­chen Zu­stim­mungs- und Be­gleit­ge­setze zu er­las­sen. Den Maßga­ben zu­folge war si­cher­zu­stel­len, dass sämt­li­che Zah­lungs­ver­pflich­tun­gen der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land aus dem ESM-Ver­trag auf ih­ren An­teil am ge­neh­mig­ten Stamm­ka­pi­tal des ESM i.H.v. rd. 190 Mrd. € be­schränkt blei­ben und die Re­ge­lun­gen über die Un­ver­letz­lich­keit der Un­ter­la­gen des ESM und die be­ruf­li­che Schwei­ge­pflicht al­ler für den ESM täti­gen Per­so­nen ei­ner um­fas­sen­den Un­ter­rich­tung des Bun­des­ta­ges und des Bun­des­ra­tes nicht ent­ge­gen­ste­hen.

Die ESM-Mit­glie­der verständig­ten sich auf eine ge­mein­same Aus­le­gungs­erklärung, die sie am 27.9.2012 ab­ga­ben. Zu­gleich gab die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land eine ähn­lich lau­tende ein­sei­tige Erklärung ab.

Die Ver­fas­sungs­be­schwer­den und das Or­gan­streit­ver­fah­ren hat­ten vor dem BVerfG kei­nen Er­folg.

Die Gründe:
Die Ver­fas­sungs­be­schwer­den und das Or­gan­streit­ver­fah­ren sind, so­weit zulässig, un­begründet. Der Ge­setz­ge­ber ist je­doch mit Blick auf die Zu­stim­mung zu Art. 4 Abs. 8 des ESM-Ver­tra­ges ver­pflich­tet, haus­halts­recht­lich durch­ge­hend si­cher­zu­stel­len, dass die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land Ka­pi­tala­bru­fen nach dem Ver­trag zur Ein­rich­tung des Eu­ropäischen Sta­bi­litätsme­cha­nis­mus frist­ge­recht und vollständig nach­kom­men kann.

Das durch Art. 38 Abs. 1 GG ge­schützte Wahl­recht gewähr­leis­tet als grund­rechts­glei­ches Recht die po­li­ti­sche Selbst­be­stim­mung der Bürger und ga­ran­tiert die freie und glei­che Teil­habe an der in Deutsch­land ausgeübten Staats­ge­walt. Sein Gewähr­leis­tungs­ge­halt um­fasst die Grundsätze des De­mo­kra­tie­ge­bots i.S.v. Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG, die Art. 79 Abs. 3 GG als Iden­tität der Ver­fas­sung auch vor dem Zu­griff des ver­fas­sungsändern­den Ge­setz­ge­bers schützt. Vor die­sem Hin­ter­grund darf der Ge­setz­ge­ber sich u.a. sei­nes Bud­get­rechts nicht be­ge­ben, auch nicht in einem Sys­tem in­ter­gou­ver­ne­men­ta­len Re­gie­rens. Für die Ein­hal­tung des De­mo­kra­tie­ge­bots kommt es ent­schei­dend dar­auf an, dass der Bun­des­tag der Ort bleibt, an dem ei­gen­ver­ant­wort­lich über Ein­nah­men und Aus­ga­ben ent­schie­den wird, auch im Hin­blick auf in­ter­na­tio­nale und eu­ropäische Ver­bind­lich­kei­ten.

Das Zu­stim­mungs­ge­setz zur Ände­rung des Art. 136 AEUV ver­letzt die Be­schwer­deführer und die An­trag­stel­le­rin nicht in ih­ren Rech­ten aus Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG. Ins­bes. führt Art. 136 Abs. 3 AEUV nicht zum Ver­lust der Haus­halts­au­to­no­mie des Bun­des­ta­ges, son­dern ermöglicht den Mit­glied­staa­ten des Euro-Währungs­ge­bie­tes le­dig­lich, einen Sta­bi­litätsme­cha­nis­mus zur Gewährung von Fi­nanz­hil­fen auf völker­ver­trag­li­cher Grund­lage zu in­stal­lie­ren und bestätigt in­so­fern die fort­dau­ernde Herr­schaft der Mit­glied­staa­ten über die Verträge.

Auch das Zu­stim­mungs­ge­setz zur Ein­rich­tung des ESM trägt den ver­fas­sungs­recht­li­chen An­for­de­run­gen Rech­nung. Die Be­stim­mun­gen des ESM-Ver­tra­ges sind mit der haus­halts­po­li­ti­schen Ge­samt­ver­ant­wor­tung des Bun­des­ta­ges ver­ein­bar. Aus der ab­so­lu­ten Höhe der hier­mit ein­ge­gan­ge­nen Zah­lungs­pflich­ten von der­zeit rd. 190 Mrd. € lässt sich keine Be­einträch­ti­gung der haus­halts­po­li­ti­schen Ge­samt­ver­ant­wor­tung des Bun­des­ta­ges ab­lei­ten. Die dies­bzgl. Ein­schätzung des Ge­setz­ge­bers ist je­den­falls nicht evi­dent feh­ler­haft. So­weit nach dem Ver­trags­wort­laut eine der Höhe nach un­be­grenzte Zah­lungs­pflicht zu­min­dest denk­bar er­scheint, wird die Ge­fahr ei­ner sol­chen Aus­le­gung je­den­falls durch die ge­mein­same Erklärung der ESM-Mit­glie­der vom 27.9.2012 so­wie die ein­sei­tige Erklärung der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land vom sel­ben Tage in völker­recht­lich ver­bind­li­cher Weise aus­ge­schlos­sen.

Für Ent­schei­dun­gen des ESM, die die haus­halts­po­li­ti­sche Ge­samt­ver­ant­wor­tung des Bun­des­ta­ges be­tref­fen, ist je­den­falls der­zeit ge­si­chert, dass sie nicht ge­gen die Stim­men der deut­schen Ver­tre­ter in den Or­ga­nen des ESM er­ge­hen können, der Le­gi­ti­ma­ti­ons­zu­sam­men­hang zwi­schen dem Par­la­ment und dem ESM also nicht un­ter­bro­chen wird. Um eine Aus­set­zung der Stimm­rechte zu ver­mei­den, hat der Bun­des­tag nicht nur den anfäng­lich ein­zu­zah­len­den Ka­pi­tal­an­teil im Haus­halt be­reit­zu­stel­len, son­dern im ge­bo­te­nen Um­fang durch­ge­hend si­cher­zu­stel­len, dass et­waige wei­tere Ka­pi­tal­an­teile je­der­zeit frist­ge­recht und vollständig ein­ge­zahlt wer­den können. Der Bun­des­tag hat durch seine Ver­fah­rens­be­vollmäch­tig­ten erklärt, das Li­qui­ditätsma­nage­ment der Fi­nan­zagen­tur GmbH sei hin­rei­chend um­sich­tig und leis­tungsfähig, um frist­ge­rechte Ein­zah­lun­gen zu gewähr­leis­ten.

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