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OLG München zum Anspruch gegen eine Unfallversicherung: Allergische Reaktion nach versehentlicher Aufnahme von Allergenen stellt Unfall dar

Urteil des OLG München vom 1.3.2012 - 14 U 2523/11

Die ver­se­hent­li­che bzw. un­be­wusste Auf­nahme von All­er­ge­nen in einem Le­bens­mit­tel durch eine auf ver­schie­dene Stoffe be­kann­ter­weise all­er­gi­sche Per­son und die da­durch aus­gelöste all­er­gi­sche Re­ak­tion des Körpers stellt hin­sicht­lich der pri­va­ten Un­fall­ver­si­che­rung einen Un­fall dar. Eine be­ste­hende all­er­gi­sche Re­ak­ti­ons­be­reit­schaft des Körpers auf be­stimmte Le­bens­mit­tel­stoffe ist in­so­weit keine (mit­wir­kende) Krank­heit und min­dert des­halb die An­sprüche ge­gen die Ver­si­che­rung nicht.

Der Sach­ver­halt:
Hin­ter­grund die­ses Ver­fah­rens ist der Tod ei­nes 15-jähri­gen geis­tig be­hin­der­ten Kin­des in Folge ei­ner all­er­gi­schen Re­ak­tion nach dem mutmaßli­chen Ver­zehr von nuss­hal­ti­ger Scho­ko­lade. Sehr wahr­schein­lich hatte das Kind un­be­merkt Scho­ko­la­detäfel­chen von dem ge­deck­ten Weih­nachts­ti­sch ge­ges­sen, die mögli­cher­weise Nuss­be­stand­teile be­inhal­te­ten. Die Kläge­rin ist die Mut­ter des Kin­des. Diese hatte eine pri­vate Un­fall­ver­si­che­rung ab­ge­schlos­sen, bei der das Kind mit­ver­si­chert war. Ge­genüber der be­klag­ten Ver­si­che­rung macht die Kläge­rin in­so­weit einen Be­trag von 27.000 € gel­tend, die Summe, die die Ver­si­che­rung für den Fall ei­nes Un­fall­to­des den ge­setz­li­chen Er­ben schul­det.

Dem Ver­trag la­gen die all­ge­mei­nen Un­fall­ver­si­che­rungs­be­din­gun­gen der Be­klag­ten (GUB 99) so­wie die "All­ge­meine(n) Ver­bes­se­run­gen zu den GUB 99 - Euro ohne be­son­dere Glie­der­taxe" zu­grunde. Die Ver­si­che­rung wei­gerte sich zu zah­len. Sie ist der An­sicht, dass die To­des­ur­sa­che nicht geklärt sei und im Übri­gen auch kein Un­fall vor­liege.

Das LG wies die auf Zah­lung der Ver­si­che­rungs­summe ge­rich­tete Klage ab. Die von der Kläge­rin dar­ge­stellte hoch­all­er­gi­sche Re­ak­tion als To­des­ur­sa­che falle je­den­falls nicht un­ter den Un­fall­be­griff. Ein wil­lens­ge­steu­er­ter nor­ma­ler Ver­zehr von Voll­milch­scho­ko­lade sei kein von außen auf den Körper wir­ken­des Er­eig­nis. Auf die Be­ru­fung der Kläge­rin hob das OLG die Ent­schei­dung auf und gab der Klage statt. Die Re­vi­sion wurde zur Fort­bil­dung des Rechts und zur Si­che­rung ei­ner ein­heit­li­chen Recht­spre­chung zu­ge­las­sen.

Die Gründe:
Das ver­se­hent­li­che bzw. un­be­wusste Ver­zeh­ren von All­er­ge­nen zu­sam­men mit an­de­ren Nah­rungs­stof­fen stellt im Pri­vat­ver­si­che­rungs­recht (ähn­lich wie auch im So­zi­al­ver­si­che­rungs­recht laut dazu be­reits er­gan­ge­ner Ent­schei­dun­gen) einen ver­si­cher­ten Un­fall dar. Ein sol­cher liegt dann vor, wenn die ver­si­cherte Per­son durch ein plötz­lich von außen auf ih­ren Körper ein­wir­ken­des Er­eig­nis un­frei­wil­lig eine Ge­sund­heits­schädi­gung er­lei­det. Das Er­for­der­nis des von außen auf den Körper ein­wir­ken­den Er­eig­nis­ses dient der Ab­gren­zung zu dem nur in­ne­ren Körper­vor­gang. Das Merk­mal der Un­frei­wil­lig­keit be­zieht sich nicht auf die Ein­wir­kung von außen, son­dern auf die da­durch be­wirkte Ge­sund­heits­schädi­gung.

Das maßgeb­li­che Er­eig­nis, das im vor­lie­gen­den Fall die er­ste Ge­sund­heits­schädi­gung un­mit­tel­bar aus­gelöst hatte, war das Auf­ein­an­der­tref­fen (nuss­hal­ti­ger) Scho­ko­lade auf die Mund­schleim­haut des Kin­des. Diese wirkte von außen ein. Da die ge­sund­heits­schädi­gende Ein­wir­kung der All­er­gene auf den Körper des Kin­des un­frei­wil­lig und plötz­lich, nämlich un­er­war­tet in­ner­halb ei­nes kurzen Zeit­raums er­folgte, liegt nach der De­fi­ni­tion des § 178 Abs. 2 VVG im vor­lie­gen­den Fall ein Un­fall­ge­sche­hen vor. Auf die Frage ei­ner (ana­lo­gen) An­wen­dung der Mit­ver­si­che­rung von Kin­dern bis 14 Jah­ren bei Ver­gif­tun­gen kam es für die Ent­schei­dung nicht mehr an.

Die Leis­tungs­pflicht der pri­va­ten Un­fall­ver­si­che­rung ver­min­dert sich auch nicht etwa we­gen der Mit­wir­kung be­reits vor­han­de­ner Krank­hei­ten oder Ge­bre­chen bei den Un­fall­fol­gen. Un­ter Krank­heit im Sinne die­ser Klau­sel ver­steht man einen re­gel­wid­ri­gen Körper­zu­stand, der eine ärzt­li­che Be­hand­lung er­for­dert. Al­lein die all­er­gi­sche Re­ak­ti­ons­be­reit­schaft stellt je­doch nach An­sicht des Se­nats keine Krank­heit dar. Die ge­gen­tei­li­gen, nicht näher begründe­ten Auf­fas­sun­gen zweier an­de­rer OLG über­zeu­gen nicht. Krank­ma­chende Sym­ptome tre­ten nach der Sen­si­bi­li­sie­rung erst bei neu­er­li­chem Kon­takt mit dem für die in­di­vi­du­elle Per­son re­le­van­ten All­er­gen auf. So­lange der all­er­gene Stoff ver­mie­den wird, kann der all­er­gi­sche Ver­si­cherte also pro­blem­los und un­ein­ge­schränkt ohne ärzt­li­che Be­hand­lung le­ben.

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