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LG Wiesbaden zur Verjährung von Ansprüchen wegen fehlerhafter Anlageberatung

Urteil des LG Wiesbaden vom 20.7.2012 - 1 O 349/11

Der weit aus­zu­le­gende Ver­hand­lungs­be­griff des § 203 BGB setzt zu­min­dest einen Mei­nungs­aus­tausch über den An­spruch oder die den An­spruch begründen­den Umstände vor­aus. Für § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist Kennt­nis von Umständen hin­rei­chend, die es dem An­spruchs­in­ha­ber ermögli­chen, eine Scha­dens­er­satz­klage, sei es auch nur in Form der Fest­stel­lungs­klage, zu er­he­ben.

Der Sach­ver­halt:
Die Kläge­rin war über 33 Jahre lang Kun­din der Be­klag­ten. Im De­zem­ber 2006 fand ein Ge­spräch zwi­schen der Kläge­rin und einem Kun­den­be­ra­ter der Be­klag­ten statt, in dem das von der Be­klag­ten ver­trie­bene Zer­ti­fi­kat "aaa" zur Sprache kam. Bei die­sem han­delte es sich um eine In­ha­ber­schuld­ver­schrei­bung ohne Ka­pi­tal­ga­ran­tie der Mer­rill Lynch S.A. Es be­stand des­halb die Möglich­keit, dass bei Nicht­ein­tritt der Be­din­gun­gen für eine vor­zei­tige Kündi­gung am Ende der Lauf­zeit ein Be­trag un­ter dem Nenn­be­trag aus­ge­zahlt wer­den konnte. Das Pa­pier war auch nicht über den Ein­la­gen­si­che­rungs­fond ab­ge­si­chert.

Be­wor­ben wurde das Zer­ti­fi­kat mit­tels ei­nes Fly­ers, der den Ti­tel trug: "Mit 8 % geht's erst rich­tig los". Darin fan­den sich wer­bende Aus­sa­gen wie: "8 % + x. Da kann der Dax fast ma­chen, was er will". Wei­ter wurde aus­geführt, der An­le­ger ver­traue "den Kauf-Emp­feh­lun­gen des re­nom­mier­ten Ana­lys­ten­teams von Mer­rill Lynch". Im Rah­men des Ge­spräches erläuterte der Be­ra­ter, dass die Zins­zah­lun­gen von der Ent­wick­lung des DAX ei­ner­seits und des ML Eu­rope 1 In­dex an­de­rer­seits ab­hin­gen. Des­halb seien jähr­li­che Zins­einkünfte nicht si­cher.

Am 24.1.2007 er­warb die Kläge­rin 200 Stück des "aaa" zum Preis von 20.200 €, wo­von 200 € auf den Aus­ga­be­auf­schlag ent­fie­len. Für die Kläge­rin wurde als An­la­ge­ziel u.a. "Al­ters­vor­sorge" an­ge­ge­ben. Bezüglich der ge­nann­ten An­la­ge­ar­ten wurde als Ein­stel­lung "ri­si­ko­be­wusst" an­ge­ge­ben. Am 11.12.2007 stellte die Kläge­rin fest, dass das Pa­pier "aaa" an Wert ver­lo­ren hatte. Ein In­for­ma­ti­ons­blatt über das Wert­pa­pier ent­hielt den Hin­weis, dass die Rück­zah­lung der An­leihe un­ter dem ein­ge­setz­ten Ka­pi­tal­be­trag lie­gen könne. Die Kläge­rin erklärte ge­genüber der Be­klag­ten, ihr sei das Pa­pier ohne einen der­ar­ti­gen Zu­satz ver­kauft wor­den. In­fol­ge­des­sen be­gehrte sie am 28.10.2008 die Rück­ab­wick­lung des Wert­pa­pier­ge­schäfts, wor­auf­hin die Be­klagte ihr 14.154 € gut­schrieb.

Am 11.10.2011 for­derte die Kläge­rin die Be­klagte zum Scha­dens­er­satz we­gen Be­ra­tungs­feh­lern auf. Mit bei Ge­richt am 20.12.2011 ein­ge­gan­ge­nem Schrift­satz er­hob sie Klage. Die Be­klagte er­hob die Ein­rede der Verjährung, die sie so­wohl auf § 37a WpHG a.F. als auch auf die Re­gel­verjährung nach §§ 195 ff. BGB stützte. Das LG wies die Klage ab.

Die Gründe:
Et­waige An­sprüche der Kläge­rin we­gen der Ver­let­zung von Pflich­ten des Be­ra­tungs­ver­tra­ges wa­ren verjährt.

Die kennt­nis­un­abhängige Verjährungs­frist nach § 37 a WpHG beträgt drei Jahre ab An­spruchs­ent­ste­hung, d.h. ab Er­werb des Wert­pa­piers. Sie be­gann mit dem Zer­ti­fi­kats­er­werb am 24.1.2007 zu lau­fen und war nicht bis zum 11.12.2007 - dem Tag, an wel­chem die Kläge­rin Ver­luste ih­rer Ka­pi­tal­an­lage be­merkte - ge­hemmt. Auch trat die Hem­mung nicht nach § 203 BGB durch die Bemühun­gen der Kläge­rin, mit dem Lei­ter der Fi­liale ein Ge­spräch zu ver­ein­ba­ren, ein. Der weit aus­zu­le­gende Ver­hand­lungs­be­griff des § 203 BGB setzt nämlich zu­min­dest einen Mei­nungs­aus­tausch über den An­spruch oder die den An­spruch begründen­den Umstände vor­aus. Zwar kann die Ver­ein­ba­rung ei­nes Ter­mins zur sach­li­chen Erörte­rung eine Hem­mung der Verjährung nach sich zie­hen. Meh­rere Mo­nate an­dau­ernde, ein­sei­tige Ter­mins­ver­ein­ba­rungs­ver­su­che hin­ge­gen stel­len je­doch kein Ver­han­deln dar. In­fol­ge­des­sen er­folgte die Kla­ge­er­he­bung am 20.12.2011 nach Ein­tritt der Verjährung.

Nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB verjährt wa­ren zu­dem die An­sprüche we­gen feh­ler­haf­ter An­la­ge­be­ra­tung, von de­ren sie begründen­den Umständen die Kläge­rin am 11.12.2007 Kennt­nis er­langt hatte. Die Verjährungs­frist be­gann in­so­weit mit Ende des Jah­res 2007 und wäre ohne Hem­mung Ende des Jah­res 2010 ab­ge­lau­fen. Selbst wenn man eine Hem­mung der Verjährung nach § 203 S. 1 BGB im Zeit­raum vom 28.10.2008 bis zum 17.2.2009 annähme, er­folgte die Kla­ge­er­he­bung am 20.12.2011 erst in verjähr­ter Zeit. Denn die Kläge­rin hatte am 11.12.2007 auf­grund des Aus­drucks über ih­ren De­pot­be­stand fest­ge­stellt, dass das Wert­pa­pier an Wert ver­lo­ren hatte. Ihr war des­halb klar, dass eine et­waige In­for­ma­tion des Kun­den­be­ra­ters, es bestünde kein Ka­pi­tal­ver­lust­ri­siko, falsch ge­we­sen war.

Auch wusste die Kläge­rin um die Un­ge­eig­netheit des Wert­pa­piers für das von ihr be­haup­tete, vor­ran­gige An­la­ge­ziel der Al­ters­vor­sorge. Un­er­heb­lich war dies­bezüglich, dass das Zer­ti­fi­kat Kurs­schwan­kun­gen un­ter­lag und sich ggf. noch hätte "er­ho­len" können. Denn für § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist Kennt­nis von Umständen hin­rei­chend, die es dem An­spruchs­in­ha­ber ermögli­chen, eine Scha­dens­er­satz­klage, sei es auch nur in Form der Fest­stel­lungs­klage, zu er­he­ben. Es war der Kläge­rin möglich und zu­mut­bar, eine ent­spre­chende Fest­stel­lungs­klage, ge­rich­tet auf Fest­stel­lung der Scha­dens­er­satz­pflicht der Be­klag­ten nach Ende der Zer­ti­fi­kats­lauf­zeit, zu er­he­ben. Das Scha­dens­bild nach Um­fang und Höhe brauchte sie nicht zu ken­nen.

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