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Fehlende Nichtigkeit von Schätzungsbescheiden

BFH 15.7.2014, X R 42/12

Verlässt die Schätzung den durch die Umstände des Ein­zel­falls ge­zo­ge­nen Schätzungs­rah­men, ist sie - le­dig­lich - rechts­wid­rig. Lässt der Be­scheid nicht er­ken­nen, dass über­haupt und wel­che Schätzungs­erwägun­gen an­ge­stellt wur­den, lie­gen Mängel bei der Begründung der Schätzung vor, die nicht zur Nich­tig­keit, son­dern al­len­falls zur An­fecht­bar­keit ei­nes Ver­wal­tungs­ak­tes führen.

Der Sach­ver­halt:
Die Kläger wa­ren in den Streit­jah­ren 2008 und 2009 ge­mein­sam zur Ein­kom­men­steuer ver­an­lagt wor­den. Beide er­ziel­ten Einkünfte aus nicht­selbständi­ger Ar­beit und Ka­pi­tal­vermögen, die Kläge­rin da­ne­ben aus Ge­wer­be­be­trieb (Ver­mie­tung von Spiel­geräten und Durchführung von Frei­zeit­ak­ti­vitäten). Da sie für die Streit­jahre - wie auch zu­vor - zunächst ih­rer Pflicht zur Ab­gabe der Ein­kom­men­steu­er­erklärung nicht nach­ge­kom­men wa­ren, schätzte das Fi­nanz­amt die Be­steue­rungs­grund­la­gen. Hin­sicht­lich der Einkünfte der Kläge­rin aus Ge­wer­be­be­trieb ging es da­bei von Einkünf­ten i.H.v. 19.000 € (2008) bzw. 21.000 € (2009) aus. Für das Vor­jahr 2007 hat­ten die Kläger in ih­rer nach­ge­reich­ten Ein­kom­men­steu­er­erklärung einen Ver­lust gel­tend ge­macht, der vom Fi­nanz­amt an­er­kannt wor­den war.

Die Schätzungs­be­scheide für die Streit­jahre er­gin­gen nicht un­ter dem Vor­be­halt der Nachprüfung. Die Post­zu­stel­lungs­ur­kun­den wur­den am 2.2.2011 in den Brief­kas­ten der Kläger ein­ge­wor­fen. Die Kläger leg­ten am 3.3.2011 Ein­spruch ein und kündig­ten an, die Steu­er­erklärun­gen nach­zu­rei­chen. Nach Hin­weis des Fi­nanz­am­tes be­an­trag­ten sie Wie­der­ein­set­zung in den vo­ri­gen Stand, die sie mit ei­ner star­ken psy­chi­schen Be­las­tung durch Arzt- und Kran­ken­haus­ter­mine des Va­ters/ Schwie­ger­va­ters begründe­ten. Sie führ­ten wei­ter aus, ir­ri­ger­weise von ei­ner Auf­gabe der Be­scheide zur Post und da­mit von der Gel­tung der Drei­ta­ge­fik­tion aus­ge­gan­gen zu sein. In der nach­ge­reich­ten Erklärun­gen wa­ren Ge­winne aus Ge­wer­be­be­trieb der Kläge­rin von 2.231 € (2008) bzw. 1.595 € (2009) aus­ge­wie­sen.

Das Fi­nanz­amt ver­warf den Ein­spruch. Das FG wies die hier­ge­gen ge­rich­tete Klage ab, da Be­stands­kraft ein­ge­tre­ten sei. Die Re­vi­sion der Kläger blieb vor dem BFH er­folg­los.

Gründe:
Der Ein­spruch war nicht in­ner­halb der Mo­nats­frist gem. § 355 Abs. 1 S. 1 AO ein­ge­legt wor­den. Eine Wie­der­ein­set­zung in den vo­ri­gen Stand gem. § 110 Abs. 1 S. 1 AO war - auch von Amts we­gen - nicht zu gewähren. So­weit die Kläger auf eine be­son­dere Be­las­tung durch Arzt- und Kran­ken­haus­ter­mine des Va­ters/Schwie­ger­va­ters ver­wie­sen hat­ten, hätten sie wei­tere Tat­sa­chen dar­le­gen und - spätes­tens im Kla­ge­ver­fah­ren - gem. § 110 Abs. 2 S. 2 AO auch glaub­haft ma­chen müssen, in­wie­fern dies für die Frist­versäum­ung ursäch­lich ge­we­sen sei.

Die Ein­kom­men­steu­er­be­scheide für die Streit­jahre wa­ren auf­grund der ein­ge­tre­te­nen Be­stands­kraft - man­gels Vor­lie­gens von Kor­rek­tur­vor­schrif­ten - nicht änder­bar. Sie wa­ren ins­be­son­dere nicht nich­tig. Nach § 162 Abs. 1 S. 2 AO sind bei ei­ner Schätzung der Be­steue­rungs­grund­la­gen alle Umstände zu berück­sich­ti­gen, die für die Schätzung von Be­deu­tung sind. Das ge­won­nene Schätzungs­er­geb­nis muss schlüssig, wirt­schaft­lich möglich und vernünf­tig sein. Verlässt die Schätzung den durch die Umstände des Ein­zel­falls ge­zo­ge­nen Schätzungs­rah­men, ist sie - le­dig­lich - rechts­wid­rig. Aus­nahms­weise kann eine feh­ler­hafte Schätzung die Nich­tig­keit des auf ihr be­ru­hen­den Ver­wal­tungs­akts zur Folge ha­ben, wenn sich das Fi­nanz­amt nicht an den wahr­schein­li­chen Be­steue­rungs­grund­la­gen ori­en­tiert, son­dern be­wusst zum Nach­teil des Steu­er­pflich­ti­gen ge­schätzt hat. So­mit er­scheint eine Schätzung nicht schon des­we­gen als rechts­wid­rig oder gar nich­tig, weil sie von den tatsäch­li­chen Verhält­nis­sen ab­weicht; denn sol­che Ab­wei­chun­gen sind not­wen­dig mit ei­ner Schätzung ver­bun­den, die in Un­kennt­nis der wah­ren Ge­ge­ben­hei­ten er­folgt.

Willkürlich und da­mit nich­tig i.S.v. § 125 Abs. 1 AO ist ein Schätzungs­be­scheid nicht nur bei sub­jek­ti­ver Willkür des han­deln­den Be­diens­te­ten. Auch wenn das Schätzungs­er­geb­nis trotz vor­han­de­ner Möglich­kei­ten, den Sach­ver­halt auf­zuklären und Schätzungs­grund­la­gen zu er­mit­teln, krass von den tatsäch­li­chen Ge­ge­ben­hei­ten ab­weicht und in kei­ner Weise er­kenn­bar ist, dass über­haupt und ggf. wel­che Schätzungs­erwägun­gen an­ge­stellt wur­den, wenn so­mit ein "ob­jek­tiv willkürli­cher" Ho­heits­akt vor­liegt, ist Nich­tig­keit ge­ge­ben. Die Schätzung darf nicht dazu ver­wen­det wer­den, "die Steu­er­erklärungs­pflicht­ver­let­zung zu sank­tio­nie­ren und den Steu­er­pflich­ti­gen zur Ab­gabe der Erklärun­gen an­zu­hal­ten". Lässt hin­ge­gen der Be­scheid nicht er­ken­nen, dass über­haupt und wel­che Schätzungs­erwägun­gen an­ge­stellt wur­den, lie­gen Mängel bei der Begründung der Schätzung vor, die nicht zur Nich­tig­keit, son­dern al­len­falls zur An­fecht­bar­keit ei­nes Ver­wal­tungs­ak­tes führen.

In­fol­ge­des­sen wa­ren die Be­scheide im vor­lie­gen­den Fall nicht nich­tig. Es war schon nicht er­kenn­bar, dass das Fi­nanz­amt be­wusst zum Nach­teil der Kläger ge­schätzt hatte. Viel­mehr wa­ren die Schätzun­gen auf­grund der feh­len­den Ein­kom­men­steu­er­erklärun­gen not­wen­dig ge­wor­den und ver­ließen den durch die Umstände des Ein­zel­falls ge­zo­ge­nen Schätzungs­rah­men nicht. Einkünfte aus Ge­wer­be­be­trieb i.H.v. 19.000 € bzw. 21.000 € sind auch ne­ben­be­ruf­lich und auch bei dem Ge­werbe der Kläge­rin denk­bar und möglich.

Link­hin­weis:

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