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EuGH: Missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern dürfen durch das Gericht nicht abgeändert werden

Urteil des EuGH vom 14.6.2012 - C-618/10

Das na­tio­nale Ge­richt darf eine missbräuch­li­che Klau­sel ei­nes Ver­trags zwi­schen einem Ge­wer­be­trei­ben­den und einem Ver­brau­cher nicht in­halt­lich abändern. Stellt das Ge­richt eine sol­che Klau­sel fest, hat es sie le­dig­lich un­an­ge­wen­det zu las­sen.

Hin­ter­grund:
In Spa­nien können die na­tio­na­len Ge­richte mit Anträgen auf An­ord­nung der Zah­lung ei­ner ent­stan­de­nen und fälli­gen Geld­schuld von bis zu 30.000 € be­fasst wer­den, wenn der Be­trag die­ser Schuld gebührend be­legt wird. Wird ein sol­cher An­trag auf Er­lass ei­nes Mahn­be­scheids un­ter Ein­hal­tung die­ser Vor­aus­set­zun­gen ein­ge­reicht, muss der Schuld­ner seine Schuld be­zah­len oder ggf. ge­gen diese Zah­lung in­ner­halb ei­ner Frist von 20 Ta­gen Wi­der­spruch er­he­ben und sei­nen Fall im Rah­men ei­nes or­dent­li­chen Zi­vil­ver­fah­rens ent­schei­den las­sen.

Nach den spa­ni­schen Rechts­vor­schrif­ten sind die mit einem der­ar­ti­gen An­trag be­fass­ten Ge­richte je­doch nicht be­fugt, von Amts we­gen missbräuch­li­che Klau­seln in einem Ver­trag zwi­schen einem Ge­wer­be­trei­ben­den und einem Ver­brau­cher für nich­tig zu erklären. Folg­lich ist die Prüfung der Missbräuch­lich­keit der Klau­seln ei­nes sol­chen Ver­trags nur zulässig, wenn der Ver­brau­cher Wi­der­spruch ge­gen die Zah­lung ein­legt. Außer­dem darf ein spa­ni­sches Ge­richt, wenn es ermäch­tigt ist, die Nich­tig­keit ei­ner missbräuch­li­chen Klau­sel in einem Ver­brau­cher­ver­trag fest­zu­stel­len, nach den na­tio­na­len Rechts­vor­schrif­ten den Ver­trag an­pas­sen.

Der Sach­ver­halt:
Im Mai 2007 schloss Herr Cal­derón Ca­mino mit der spa­ni­schen Bank Ba­nesto einen Dar­le­hens­ver­trag über 30.000 € für den Kauf ei­nes Au­tos. Der Dar­le­hens­zins wurde auf 7,95 Pro­zent, der ef­fek­tive Jah­res­zins auf 8,89 Pro­zent und der Ver­zugs­zins auf 29 Pro­zent fest­ge­setzt. Ob­wohl das Dar­le­hens erst im Juni 2014 fällig wer­den sollte, war Ba­nesto der Mei­nung, dass die Fällig­keit schon vor­her ein­ge­tre­ten sei, da im Sep­tem­ber 2008 sie­ben Mo­nats­ra­ten noch nicht ge­leis­tet wor­den seien.

Da­her reichte die Bank im Ja­nuar 2009 bei dem zuständi­gen spa­ni­schen Ge­richt einen An­trag auf Er­lass ei­nes Mahn­be­scheids i.H.v. 29.382 € we­gen der aus­ste­hen­den Mo­nats­ra­ten nebst den ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Zin­sen und Kos­ten ein. Die­ses er­ließ einen Be­schluss, in dem es die Ver­zugs­zinsklau­sel we­gen Missbräuch­lich­keit von Amts we­gen für nich­tig erklärte. Außer­dem setzte es den Ver­zugs­zins­satz von 29 auf 19 Pro­zent herab und gab Ba­nesto auf, den Zins­be­trag neu zu be­rech­nen.

Das spa­ni­sche Ge­richt, das über die da­ge­gen ein­ge­legte Be­ru­fung zu ent­schei­den hat, fragt den EuGH zum einen, ob die Richt­li­nie über missbräuch­li­che Klau­seln ei­ner mit­glied­staat­li­chen Re­ge­lung wie der im Aus­gangs­ver­fah­ren ent­ge­gen­steht, wo­nach ein Ge­richt, das mit einem An­trag auf Er­lass ei­nes Mahn­be­scheids be­fasst ist, nicht von Amts we­gen prüfen darf, ob eine Klau­sel in einem Ver­brau­cher­ver­trag missbräuch­lich ist. Zum an­de­ren möchte es wis­sen, ob die spa­ni­sche Re­ge­lung, wo­nach die Ge­richte missbräuch­li­che Klau­seln nicht nur un­an­ge­wen­det las­sen können, son­dern auch ih­ren In­halt abändern dürfen, mit die­ser Richt­li­nie ver­ein­bar ist.

Die Gründe:
Das na­tio­nale Ge­richt muss von Amts we­gen die Missbräuch­lich­keit ei­ner Klau­sel ei­nes Ver­brau­cher­ver­trags prüfen, so­bald es über die hierzu er­for­der­li­chen recht­li­chen und tatsäch­li­chen Grund­la­gen verfügt. Die spa­ni­sche Re­ge­lung, dies es einem Ge­richt, das mit einem An­trag auf Er­lass ei­nes Mahn­be­scheids be­fasst ist, nicht er­laubt, von Amts we­gen zu prüfen, ob die Klau­seln in einem Ver­trag zwi­schen einem Ge­wer­be­trei­ben­den und einem Ver­brau­cher missbräuch­lich sind, ist da­her dazu ge­eig­net, die Ef­fek­ti­vität des Schut­zes zu be­einträch­ti­gen, der den Ver­brau­chern mit der Richt­li­nie über missbräuch­li­che Klau­seln gewährt wer­den sollte.

Es be­steht nämlich die Ge­fahr, dass die be­trof­fe­nen Ver­brau­cher aus ge­wis­sen Gründen - etwa die für den Wi­der­spruch vor­ge­se­hene kurze Frist, die mit ei­ner Klage ver­bun­de­nen Kos­ten oder man­gelnde In­for­ma­tio­nen - nicht den für die Fest­stel­lung der Nich­tig­keit ei­ner missbräuch­li­chen Klau­sel er­for­der­li­chen Wi­der­spruch er­he­ben. Dem­nach könn­ten die Ge­wer­be­trei­ben­den den Ver­brau­chern den mit der Richt­li­nie be­ab­sich­tig­ten Schutz schon da­durch ent­zie­hen, dass sie ein Mahn­ver­fah­ren an­stelle ei­nes or­dent­li­chen Zi­vil­ver­fah­rens an­stren­gen. Die spa­ni­sche Ver­fah­rens­re­ge­lung ist da­her nicht mit der Richt­li­nie ver­ein­bar ist.

Darüber hin­aus war fest­zu­stel­len, dass nach der Richt­li­nie eine missbräuch­li­che Klau­sel in einem Ver­trag zwi­schen einem Ge­wer­be­trei­ben­den und einem Ver­brau­cher für den Ver­brau­cher un­ver­bind­lich ist und dass ein Ver­trag mit ei­ner sol­chen Klau­sel für beide Par­teien bin­dend bleibt, wenn er ohne diese missbräuch­li­che Klau­sel be­ste­hen blei­ben kann. In­so­fern steht die Richt­li­nie der spa­ni­schen Re­ge­lung ent­ge­gen, so­weit das na­tio­nale Ge­richt da­nach, wenn es die Nich­tig­keit ei­ner missbräuch­li­chen Klau­sel fest­stellt, den In­halt die­ser Klau­sel abändern kann. Eine sol­che Be­fug­nis könnte den Ab­schre­ckungs­ef­fekt be­sei­ti­gen, der für die Ge­wer­be­trei­ben­den darin be­steht, dass missbräuch­li­che Klau­seln ge­genüber den Ver­brau­chern schlicht un­an­ge­wen­det blei­ben.

Des­halb würde diese Be­fug­nis einen we­ni­ger wirk­sa­men Schutz der Ver­brau­cher gewähr­leis­ten als den, der sich aus der Nicht­an­wen­dung die­ser Klau­seln er­gibt. Stel­len die na­tio­na­len Ge­richte eine missbräuch­li­che Klau­sel fest, ha­ben sie diese folg­lich nur für un­an­wend­bar zu erklären, da­mit sie den Ver­brau­cher nicht bin­det, ohne dass sie be­fugt wären, de­ren In­halt abzuändern. Denn der Ver­trag, in den die Klau­sel ein­gefügt ist, muss - ab­ge­se­hen von der Ände­rung, die sich aus der Auf­he­bung der missbräuch­li­chen Klau­seln er­gibt - grundsätz­lich un­verändert fort­be­ste­hen, so­weit dies nach den Vor­schrif­ten des in­ner­staat­li­chen Rechts recht­lich möglich ist.

Link­hin­weis:

Für den auf den Web­sei­ten des EuGH veröff­ent­lich­ten Voll­text der Ent­schei­dung kli­cken Sie bitte hier.

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