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EuGH: Hotelbetreiber müssen Vergütung für abgespielte Tonträger zahlen - Zahnärzte hingegen nicht

Urteile des EuGH vom 15.3.2012 - C-135/10; C-162/10

Der Be­trei­ber ei­nes Ho­tels, der in sei­nen Zim­mern Tonträger ver­brei­tet, muss eine an­ge­mes­sene Vergütung an die Her­stel­ler zah­len. Ein Zahn­arzt, der kos­ten­los Tonträger in sei­ner Pri­vat­pra­xis wie­der­gibt, nimmt hin­ge­gen keine "öff­ent­li­che Wie­der­gabe" i.S.d. Uni­ons­rechts vor und braucht dem­ent­spre­chend keine Vergütung zah­len.

Der Sach­ver­halt:

+++ C-135/10 +++
In der Recht­sa­che C-135/10 hatte die So­cietà Con­sor­tile Fo­no­gra­fici (SCF), eine Ver­wer­tungs­ge­sell­schaft, die die Rechte der Her­stel­ler von Tonträgern in Ita­lien ver­tritt, mit dem Ver­band ita­lie­ni­scher Zahnärzte über den Ab­schluss ei­nes Kol­lek­tiv­ab­kom­mens zur Fest­le­gung der Höhe ei­ner an­ge­mes­se­nen Vergütung für die "öff­ent­li­che Wie­der­gabe" von Tonträgern in Be­rufs­pra­xen ver­han­delt. Nach­dem die Ver­hand­lun­gen ge­schei­tert wa­ren, er­hob die SCF Klage ge­gen einen Zahn­arzt auf Fest­stel­lung, dass die­ser in sei­ner pri­va­ten Pra­xis als Hin­ter­grund­mu­sik ge­schützte Tonträger wie­der­ge­ge­ben habe und dass für diese Tätig­keit eine an­ge­mes­sene Vergütung zu ent­rich­ten sei.

Das ita­lie­ni­sche Be­ru­fungs­ge­richt setzte das Ver­fah­ren aus und legte die Sa­che dem EuGH u.a. mit der Frage zur Ent­schei­dung vor, ob der Be­griff "öff­ent­li­che Wie­der­gabe" im Uni­ons­recht die kos­ten­lose Wie­der­gabe von Tonträgern in ei­ner Zahn­arzt­pra­xis er­fasst.

+++ C-162/10 +++
In der Recht­sa­che C-162/10 hatte sich die Pho­no­gra­phic Per­for­mance Li­mited (PPL), eine Ver­wer­tungs­ge­sell­schaft, die die Rechte der Her­stel­ler von Tonträgern in Ir­land ver­tritt, an den High Court ge­wandt und ge­gen den iri­schen Staat auf Fest­stel­lung ge­klagt, dass Ir­land da­durch ge­gen das Uni­ons­recht verstößt, dass nach iri­schem Recht die Be­trei­ber von Ho­tels in Ir­land von der Ver­pflich­tung frei­ge­stellt sind, für die Nut­zung von Tonträgern in ih­ren Ho­tel­zim­mern eine an­ge­mes­sene Vergütung zu zah­len.

In­fol­ge­des­sen legte der High Court die Sa­che dem EuGH u.a. mit der Frage zur Ent­schei­dung vor, ob ein Ho­tel­be­trei­ber, der in sei­nen Gäste­zim­mern Fern­seh- und/oder Ra­dio­geräte auf­stellt, zu de­nen er ein Sen­de­si­gnal über­mit­telt, i.S.d. Uni­ons­rechts ein "Nut­zer" ist, der eine "öff­ent­li­che Wie­der­gabe" ei­nes in ei­ner Rund­funk­sen­dung ab­ge­spiel­ten Tonträgers vor­nimmt.

Der EuGH hat ent­schie­den, dass ein Ho­tel­be­trei­ber ein "Nut­zer" ist, der eine "öff­ent­li­che Wie­der­gabe" ei­nes in ei­ner Rund­funk­sen­dung ab­ge­spiel­ten Tonträgers vor­nimmt. Ein Zahn­arzt, der kos­ten­los Tonträger in sei­ner Pra­xis für seine Pa­ti­en­ten wie­der­gibt, die un­abhängig von ih­rem Wil­len in de­ren Ge­nuss ge­lan­gen, nimmt hin­ge­gen keine "öff­ent­li­che Wie­der­gabe" i.S.d. Uni­ons­rechts vor.

Die Gründe:
Der Be­griff "öff­ent­li­che Wie­der­gabe" er­for­dert re­gelmäßig eine in­di­vi­du­elle Be­ur­tei­lung. Bei der Prüfung sind eine Reihe von Kri­te­rien zu berück­sich­ti­gen. Zu die­sen Kri­te­rien gehört ers­tens die zen­trale Rolle des Nut­zers. Die­ser nimmt nämlich eine öff­ent­li­che Wie­der­gabe vor, wenn er in vol­ler Kennt­nis der Fol­gen sei­nes Ver­hal­tens tätig wird, um sei­nen Kun­den Zu­gang zu ei­ner Rund­funk­sen­dung zu ver­schaf­fen, die das ge­schützte Werk enthält. Zwei­tes muss die "Öff­ent­lich­keit" aus ei­ner un­be­stimm­ten Zahl po­ten­zi­el­ler Leis­tungs­empfänger und aus recht vie­len Per­so­nen be­ste­hen. Drit­tens ist es ein er­heb­li­ches Kri­te­rium ist, ob eine "öff­ent­li­che Wie­der­gabe" Er­werbs­zwe­cken dient. Es wird also vor­aus­ge­setzt, dass sich der Nut­zer ge­zielt an das Pu­bli­kum wen­det, für das die Wie­der­gabe vor­ge­nom­men wird, und dass es in der einen oder an­de­ren Weise für diese Wie­der­gabe auf­nah­me­be­reit ist und nicht bloß zufällig "er­reicht" wird.

+++ C-162/10 +++
Im Fall C-162/10 wa­ren diese Kri­te­rien erfüllt. So ist die Rolle des Be­trei­bers ei­nes Ho­tels, der in sei­nen Zim­mern Fern­seh- und/oder Ra­dio­geräte auf­stellt, zen­tral, da die Gäste ei­nes der­ar­ti­gen Ho­tels nur auf­grund des ab­sicht­li­chen Tätig­wer­dens die­ses Be­trei­bers in den Ge­nuss der Tonträger kom­men können. Zu­dem stel­len die Ho­telgäste eine un­be­stimmte Zahl po­ten­zi­el­ler Leis­tungs­empfänger dar, so dass diese als Öff­ent­lich­keit an­zu­se­hen sind.

Schließlich dient die Aus­strah­lung von Tonträgern durch Ho­tel­be­trei­ber auch Er­werbs­zwe­cken. Sie ist als eine zusätz­li­che Dienst­leis­tung an­zu­se­hen, die sich auf den Stan­dard des Ho­tels und da­mit auf den Preis der Zim­mer aus­wirkt. Außer­dem ist sie ge­eig­net, wei­tere Gäste an­zu­zie­hen. Folg­lich ist ein sol­cher Ho­tel­be­trei­ber ein "Nut­zer", der eine "öff­ent­li­che Wie­der­gabe" ei­nes in ei­ner Rund­funk­sen­dung ab­ge­spiel­ten Tonträgers vor­nimmt und ver­pflich­tet, zusätz­lich zu der vom Rund­funk­sen­der ge­zahl­ten Vergütung eine an­ge­mes­sene Vergütung für die Aus­strah­lung ei­nes in ei­ner Rund­funk­sen­dung ab­ge­spiel­ten Tonträgers zu zah­len. Das Uni­ons­recht ge­stat­tet es Mit­gliedsländern auch nicht, Ho­tel­be­trei­ber von der Ver­pflich­tung zur Zah­lung ei­ner sol­chen Vergütung frei­zu­stel­len.

+++ C-135/10 +++
An­ders sah es im Fall C-135/10 aus. Selbst wenn ein Zahn­arzt bei der Wie­der­gabe von Tonträgern ab­sicht­lich tätig wird, bil­den seine Pa­ti­en­ten übli­cher­weise eine Ge­samt­heit von Per­so­nen, de­ren Zu­sam­men­set­zung weit­ge­hend sta­bil ist. Sie stel­len eine be­stimmte Ge­samt­heit po­ten­zi­el­ler Leis­tungs­empfänger und nicht "Per­so­nen all­ge­mein" dar. Schließlich hat eine sol­che Wie­der­gabe auch nicht den Cha­rak­ter ei­nes Er­werbs­zwecks. Die Pa­ti­en­ten ei­nes Zahn­arz­tes be­ge­ben sich nämlich zu dem ein­zi­gen Zweck in eine Zahn­arzt­pra­xis, be­han­delt zu wer­den, und eine Wie­der­gabe von Tonträgern gehört nicht zur Zahn­be­hand­lung.

Link­hin­weis:
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