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Rechtsberatung

EU-Richtlinienentwurf zur Lieferkette: Strenge Anforderungen an den Mittelstand

Die EU-Kom­mis­sion hat am 23.02.2022 einen Richt­li­nien-Ent­wurf für ein EU-Lie­fer­ket­ten­ge­setz vor­ge­legt. Die­ses soll eu­ropäische Un­ter­neh­men dazu ver­pflich­ten, dafür Sorge zu tra­gen, dass in­ner­halb ih­rer in­ter­na­tio­na­len Lie­fer­kette Men­schen­rechte und Um­welt­stan­dards ein­ge­hal­ten wer­den. Der Ent­wurf aus Brüssel geht in vie­len Punk­ten deut­lich über das deut­sche Lie­fer­ket­ten­sorg­falts­pflich­ten­ge­setz hin­aus, das be­reits Mitte 2021 ver­ab­schie­det wurde und viele Un­ter­neh­men ab dem 01.01.2023 in die Pflicht nimmt.

Welche Unternehmen sind von der geplanten EU-Richtlinie betroffen?

Die EU-Richt­li­nie soll für Un­ter­neh­men mit einem Jah­res­um­satz von mehr als 150 Mio. Euro und mehr als 500 Mit­ar­bei­tern gel­ten. Un­ter­neh­men mit einem Jah­res­um­satz von mehr als 40 Mio. Euro und mehr als 250 Mit­ar­bei­tern fal­len eben­falls in den An­wen­dungs­be­reich der Richt­li­nie, so­fern sie mehr als 50 Pro­zent ih­res Um­sat­zes in sog. „ri­si­ko­be­haf­te­ten“ Wirt­schafts­zwei­gen er­zie­len – dazu zählen nach An­sicht der EU-Kom­mis­sion im We­sent­li­chen:

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  • Tex­ti­lien, Be­klei­dung und Le­der (ein­schließlich Schuhe),
  • Land- und Forst­wirt­schaft so­wie Fi­sche­rei (ein­schließlich Aqua­kul­tur),
  • Her­stel­lung von Nah­rungs­mit­teln,
  • Großhan­del mit land­wirt­schaft­li­chen Roh­stof­fen, le­ben­den Tie­ren, Holz, Le­bens­mit­teln und Getränken,
  • Ge­win­nung von Bo­den­schätzen,
  • Her­stel­lung von Me­tall­er­zeug­nis­sen, sons­ti­gen Er­zeug­nis­sen aus nicht­me­tal­li­schen Mi­ne­ra­lien und Me­tall­er­zeug­nis­sen so­wie
  • der Großhan­del mit mi­ne­ra­li­schen Roh­stof­fen, mi­ne­ra­li­schen Grund­stof­fen und Zwi­schen­pro­duk­ten und Zwi­schen­er­zeug­nis­sen (ein­schließlich Me­talle und Me­tall­erze, Bau­stoffe, Brenn­stoffe, Che­mi­ka­lien und an­de­ren Zwi­schen­pro­duk­ten).

Darüber sieht der Ent­wurf grundsätz­lich so­gar eine An­wen­dung auf Un­ter­neh­men vor, die zwar nicht aus der EU kom­men, aber dort Ge­schäfte ma­chen. Diese müss­ten dann dafür Sorge tra­gen, dass auch Un­ter­neh­men, von de­nen sie be­lie­fert wer­den, nicht die Um­welt zerstören oder ihre Mit­ar­bei­ten­den aus­beu­ten.

Hin­weis: Dies stellt eine deut­li­che Ver­schärfung ge­genüber dem deut­schen Lie­fer­ket­ten­sorg­falts­pflich­ten­ge­setz dar, das ab dem kom­men­den Jahr zunächst für Un­ter­neh­men mit mehr als 3.000 Be­schäftig­ten und ab dem 01.01.2024 für sol­che mit min­des­tens 1.000 Mit­ar­bei­tern gilt. Mehr zum na­tio­na­len Lie­fer­ket­ten­sorg­falts­pflich­ten­ge­setz le­sen Sie hier.

Welche Anforderungen stellt der Entwurf an Unternehmen?

Nach den Vor­ga­ben des Richt­li­nien­ent­wurfs sol­len Un­ter­neh­men ver­pflich­tet wer­den, ihre ge­samte Lie­fer­kette auf Verstöße ge­gen Um­welt-, Klima- und Men­schen­rechte zu kon­trol­lie­ren.

Ins­be­son­dere ist die Im­ple­men­tie­rung von ge­eig­ne­ten Maßnah­men vor­ge­se­hen, um nach­tei­lige Aus­wir­kun­gen auf die Men­schen­rechte so­wie auf die Um­welt zu er­mit­teln und zu ver­hin­dern bzw. ab­zu­mil­dern oder zu be­en­den, die sich aus der ei­ge­nen Ge­schäftstätig­keit (ein­schließlich der Toch­ter­ge­sell­schaf­ten) so­wie aus den Ge­schäfts­be­zie­hun­gen ent­lang ih­rer Wert­schöpfungs­kette er­ge­ben.

Ein be­son­de­res Au­gen­merk legt Ent­wurf auf den Kli­ma­schutz. Mit­glieds­staa­ten sol­len si­cher­stel­len, dass die Un­ter­neh­mens­stra­te­gie ver­ein­bar ist mit dem Ziel des Pa­ri­ser Ab­kom­mens, die Erd­erwärmung auf 1,5 Grad zu be­schränken.

Un­ter­neh­mens­ver­ant­wort­li­che wer­den nach dem Kom­mis­si­ons­ent­wurf kon­kret in den Blick ge­nom­men und müssen die Um­set­zung des eu­ropäischen Green Deal in ihre Un­ter­neh­mens­stra­te­gie in­te­grie­ren. Ent­spre­chende Bemühun­gen sol­len zu­dem maßgeb­li­che Re­le­vanz für de­ren Bo­nus­zah­lun­gen ent­fal­ten.

Da­ne­ben liegt der Fo­kus verstärkt auch auf um­welt­be­zo­ge­nen Sorg­falts­pflich­ten. Diese sind in dem be­ste­hen­den na­tio­na­len Lie­fer­ket­ten­sorg­falts­pflich­ten­ge­setz nur er­fasst, so­weit sie im Zu­sam­men­hang mit kon­kre­ten Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen ste­hen.

Auch an die Be­richts­pflich­ten wer­den strenge An­for­de­run­gen ge­stellt. Außer­dem sind die Be­wer­tun­gen von Ge­schäfts­be­zie­hun­gen ebenso wie die Wirk­sam­keit von Maßnah­men im Tur­nus von zwölf Mo­na­ten zu wie­der­ho­len.

Ins­ge­samt stellt der von der EU-Kom­mis­sion präsen­tierte Richt­li­nien-Ent­wurf ge­genüber dem deut­schen Lie­fer­ket­ten­ge­setz deut­lich höhere An­for­de­run­gen an Un­ter­neh­men und wei­tet auch die Haf­tung er­heb­lich aus.

Drohende Sanktionen und Ausblick

Der Richt­li­nien­ent­wurf der EU sieht Sank­tio­nen für Un­ter­neh­men vor, die ge­gen die darin fest­ge­leg­ten Pflich­ten ver­stoßen. Die Ent­schei­dung darüber, wel­che Art von Sank­tio­nen auf­er­legt wer­den, soll den je­wei­li­gen Mit­glieds­staa­ten vor­be­hal­ten blei­ben; nach den Vor­ga­ben der EU-Kom­mis­sion sind sie je­doch „ef­fek­tiv, verhält­nismäßig und ab­schre­ckend“ aus­zu­ge­stal­ten. Et­waige fi­nan­zi­elle Sank­tio­nen ha­ben sich da­bei am Um­satz des Un­ter­neh­mens zu ori­en­tie­ren.

Es ist ins­be­son­dere eine zi­vil­recht­li­che Haf­tung für Verstöße der an der je­wei­li­gen Lie­fer­kette be­tei­lig­ten Un­ter­neh­men vor­ge­se­hen, etwa wenn Maßnah­men versäumt wur­den und dies zu einem Scha­den geführt hat. Das deut­sche Lie­fer­ket­ten­ge­setz begründet je­den­falls eine sol­che Haf­tung nicht.

Nun­mehr muss die von der EU-Kom­mis­sion ge­plante Richt­li­nie mit dem Eu­ropäischen Par­la­ment und den EU-Mit­glied­staa­ten ver­han­delt wer­den. An­schließend ha­ben die Mit­glied­staa­ten zwei Jahre Zeit zur Um­set­zung in in­ner­staat­li­ches Recht.

Auf wel­che Weise der den Mit­glied­staa­ten ein­geräumte Er­mes­sens­spiel­raum bei den Sank­tio­nen durch den deut­schen Ge­setz­ge­ber kon­kret ausgeübt wird, bleibt ab­zu­war­ten. Da der Ent­wurf der Brüsse­ler Behörde in vie­len Punk­ten über die An­for­de­run­gen des deut­schen Lie­fer­ket­ten­sorg­falts­pflich­ten­ge­set­zes hin­aus­geht, steht ins­ge­samt zu er­war­ten, dass der deut­sche Ge­setz­ge­ber im Hin­blick dar­auf zeit­nahe An­pas­sun­gen vor­neh­men müssen wird. 

Auf diese Per­spek­tive soll­ten sich die Un­ter­neh­men frühzei­tig ein­stel­len. Ins­be­son­dere der klas­si­sche Mit­tel­stand, der sich bis­lang ten­den­zi­ell we­ni­ger un­mit­tel­bar be­trof­fen sah, wird sich zwangsläufig mit den wei­ten An­for­de­run­gen im Rah­men der Lie­fer­kette ein­ge­hend aus­ein­an­der­set­zen müssen

Die Mel­dung von Verstößen ge­gen diese Richt­li­nie soll nach dem Wil­len der Kom­mis­sion im Übri­gen un­ter die „Whist­leb­lo­wer-Richt­li­nie“ (EU) 2019/1937 fal­len. De­ren Um­set­zung in das deut­sche Recht wird – auch mit Blick auf das zwi­schen­zeit­lich ein­ge­lei­tete EU-Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fah­ren – zeit­nah er­war­tet.

Mehr zur Whist­leb­lo­wer-Richt­li­nie fin­den Sie hier.

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