Für die Vertragsparteien eines Bauvorhabens stellt sich die Frage, welche rechtlichen Auswirkungen diese Störungen im Bauablauf haben.
Grundsätzlich gilt auch in den Fällen einer Bauzeitverzögerung aufgrund einer Pandemie, dass die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien zu etwaigen unvorhersehbaren Ereignissen, höherer Gewalt o. ä. vorrangig zu beachten sind.
Konkrete gerichtliche Entscheidungen zu den rechtlichen Auswirkungen einer Pandemie auf Bauverträge sind - soweit ersichtlich - nicht vorhanden. Bei den nachfolgenden Ausführungen haben wir unterstellt, dass die Bauvertragsparteien keine entsprechenden vertraglichen Vereinbarungen getroffen haben und insoweit die gesetzlichen Regelungen bzw. die Regelungen der VOB/B zur Anwendung kommen.
Leistungs- und Gegenleistungspflicht
Kommt es zu Lieferengpässen infolge der Pandemie, kann der Auftragnehmer ggf. seinen Leistungspflichten nicht mehr nachkommen. Dies hat folgende rechtliche Konsequenzen:
Lieferengpässe
Sofern und soweit die Parteien nichts anderweitiges vereinbart haben, schuldet der Auftragnehmer grundsätzlich die rechtzeitige Beschaffung des benötigten Materials. Kommt der Auftragnehmer dieser Verpflichtung schuldhaft nicht nach und entsteht dem Auftraggeber dadurch ein Schaden, haftet der Auftragnehmer grundsätzlich für den entstandenen Schaden.
Kommt der Auftragnehmer dieser Leistungspflicht jedoch nicht nach, weil sie für ihn unmöglich im Sinne von § 275 BGB ist, ist der Anspruch des Auftraggebers auf rechtzeitige Beschaffung des benötigten Materials ausgeschlossen. Hat der Auftragnehmer jedoch die Unmöglichkeit selbst verschuldet, kommt ebenfalls ein Schadensersatzanspruch des Auftraggebers in Betracht.
Resultiert die Unmöglichkeit jedoch aus einem Umstand, den die Parteien nicht zu vertreten haben - wie etwa höhere Gewalt -, ist der Auftragnehmer von seiner Leistungspflicht nach § 275 BGB befreit und dem Auftraggeber steht kein Schadensersatzanspruch zu. In diesem Fall schuldet der Auftraggeber gemäß § 326 Abs. 1 BGB aber auch keine Gegenleistung. Darüber hinaus ist der Auftraggeber unter den Voraussetzungen von § 326 Abs. 5 BGB zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt.
Entfällt die Unmöglichkeit, leben die vertraglichen Verpflichtungen grundsätzlich wieder auf, es sei denn zuvor ist ein wirksamer Rücktritt erfolgt.
Unter höherer Gewalt versteht die Rechtsprechung einheitlich ein Ereignis, welches keiner Sphäre einer der Vertragsparteien zuzuordnen ist, sondern von außen auf die Lebensverhältnisse der Allgemeinheit oder einer unbestimmten Vielzahl von Personen einwirkt und objektiv unabwendbar sowie unvorhersehbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 22.4.2004, Az. III ZR 108/03).
Darunter fallen grundsätzlich auch Krankheiten und Seuchen (vgl. BGH, Urteil vom 16.5.2017, Az. X ZR 142/15).
Die Corona-Pandemie dürfte aller Voraussicht nach von den Gerichten als höhere Gewalt angesehen werden.
Für den Ausschluss der Leistungspflicht des Auftragnehmers zur (rechtzeitigen) Lieferung der Materialien ist es jedoch erforderlich, dass die Coronavirus-Pandemie, d. h. die höhere Gewalt, tatsächlich im konkreten Fall für die leeren Lagerbestände bzw. den Ausfall neuer Lieferungen ursächlich ist.
Ist dagegen der leere Lagerbestand etwa auf Planungsfehler des Auftragnehmers zurückzuführen oder ist das benötigte Material - zwar zu höheren Preisen - anderweitig zu beschaffen, dürfte keine höhere Gewalt und damit kein Ausschluss der Leistungspflicht des Auftragnehmers vorliegen.
Ausfall von Mitarbeitern aufgrund von Quarantänemaßnahmen
Vorstehende Ausführungen können entsprechend auch auf den Ausfall des Nachunternehmers oder der eigenen Mitarbeiter übertragen werden.
Sollten diese etwa aufgrund behördlicher Anordnungen in Quarantäne gestellt werden und es dadurch zum Stillstand oder zu Verzögerungen kommen, könnte die Leistungspflicht des Auftragnehmers insoweit ausgeschlossen sein. Entsprechend wäre die Gegenleistungspflicht des Auftraggebers auch ausgeschlossen und ihm stünde unter den Voraussetzungen des § 326 Abs. 5 BGB ein Rücktrittsrecht zu.
Behinderungsanzeige und Verlängerung der Ausführungsfristen
Haben die Parteien die Anwendbarkeit der VOB/B vereinbart, können die Ausführungsfristen unter den Voraussetzungen des § 6 VOB/B verlängert werden.
Glaubt der Auftragnehmer, dass er in der ordnungsgemäßen Ausführung der Leistung behindert ist, muss er dies dem Auftraggeber unverzüglich schriftlich anzeigen (§ 6 Abs. 1 S. 1 VOB/B).
Unterlässt der Auftragnehmer die Anzeige, hat er nur dann einen Anspruch auf Berücksichtigung der hindernden Umstände, wenn dem Auftraggeber offenkundig die Tatsache und deren hindernde Wirkung bekannt waren (§ 6 Abs. 1 S. 2 VOB/B).
Ein Fall der höheren Gewalt führt nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 c VOB/B dazu, dass die Ausführungsfristen verlängert werden. Hierdurch werden Termine verschoben und sind im Zweifel gänzlich neu zu vereinbaren.
Auch hier ist insoweit im Einzelnen zu prüfen, ob die Behinderung (leere Lagerbestände, keine Nachlieferungen, Ausfall von Personal bzw. Nachunternehmer usw.) tatsächlich nur auf die Coronavirus-Pandemie bzw. auf die behördlichen Maßnahmen zur Eindämmung dieser Pandemie zurückzuführen ist.
Liegen die vorgenannten Voraussetzungen vor, verschieben sich die Ausführungstermine nach hinten und der Auftragnehmer kommt mit seiner Leistung nicht in Verzug.
Die Verlängerung der Ausführungsfrist wird nach der Dauer der Behinderung mit einem Zuschlag für die Wiederaufnahme der Arbeiten und etwaige Verschiebung in eine ungünstigere Jahreszeit berechnet (§ 6 Abs. 4 VOB/B).
Dabei hat der Auftragnehmer alles zu tun, was ihm zugemutet werden kann, um die Weiterführung der Arbeiten zu ermöglichen. Sobald die hindernden Umstände wegfallen, hat er ohne weiteres und unverzüglich die Arbeiten wieder aufzunehmen und den Auftraggeber darüber zu benachrichtigen (§ 6 Abs. 3 VOB/B).
Kündigungsrechte aufgrund der Coronavirus-Pandemie
Dauert eine Unterbrechung wegen einer Baubehinderung länger als drei Monate, können die jeweiligen Vertragspartner nach Ablauf dieser Zeit den Vertrag schriftlich kündigen (§ 6 Abs. 7 VOB/B).
Darüber hinaus können die Parteien den Bauvertrag grundsätzlich außerordentlich kündigen, wenn der kündigenden Partei unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur Fertigstellung des Werkes nicht zugemutet werden kann. Ob eine solche Unzumutbarkeit, die zur Kündigung berechtigen würde, vorliegt, ist in jedem Einzelfall gesondert zu prüfen und kann nicht pauschal beantwortet werden. Eine solche außerordentliche Kündigung sollte jedoch gut überlegt sein und zuvor mit dem Rechtsberater ausführlich erörtert und abgestimmt werden.
Vertragsanpassung
Eine Anpassung des Vertrages (sowohl eines BGB - Bauvertrages als auch eines VOB/B - Bauvertrages) ist unter den Voraussetzungen des § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) grundsätzlich möglich.
Eine Anwendung der Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage kommt allerdings nur in Betracht, wenn es sich um eine derart einschneidende Änderung handelt, dass ein Festhalten an der ursprünglichen Regelung zu einem untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin nicht mehr zu vereinbarenden Ergebnis führen würde und das Festhalten an der ursprünglichen Regelung für die betroffene Partei deshalb unzumutbar wäre.
Ob diese Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen, bedarf einer konkreten Prüfung. Zu berücksichtigen ist jedenfalls, dass der Gesetzgeber grundsätzlich davon ausgeht, dass Verträge einzuhalten sind und die Störung der Geschäftsgrundlage daher als Ausnahmetatbestand vorgesehen hat.
Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten bzw. den Vertrag kündigen.
Liquiditätsengpässe beim Auftraggeber
Aufgrund der Coronavirus-Pandemie und der behördlichen Maßnahmen zu ihrer Eindämmung kann es bei den Auftraggebern zu Liquiditätsengpässen kommen.
Kommt ein Auftraggeber in eine finanzielle Notlage, kann er sich verpflichtet sehen, einen (temporären) Baustopp anzuordnen. In derartigen Fallkonstellationen dürfte sich der Auftraggeber wohl nicht mit Erfolg auf höhere Gewalt berufen können. Der Auftraggeber trägt unabhängig von einem etwaigen Verschulden das Liquiditätsrisiko. Insoweit wird der Auftraggeber etwaige Kosten während des Baustopps (z. B. Vorhaltekosten usw.) zu tragen haben.
Empfehlungen für die Praxis
Kann der Auftragnehmer die ordnungsgemäße Ausführung der Leistung, also auch die (rechtzeitige) Belieferung mit Materialien nicht mehr gewährleisten, sollte er seinem Auftraggeber unverzüglich eine schriftliche Behinderungsanzeige zukommen lassen.
Auch wenn für den Auftragnehmer bereits jetzt abzusehen ist, dass eine ordnungsgemäße Ausführung der Leistung in Zukunft voraussichtlich nicht erfolgen können wird, sollte der Auftraggeber hierüber mittels einer Behinderungsanzeige informiert und die Gründe und Umstände dargelegt werden. Zur Begründung reicht dabei ein allgemein gehaltener Hinweis auf den „Coronavirus“ nicht aus. Vielmehr sind - wie sonst auch - die genauen Umstände der Behinderung anzugeben.
Im Übrigen empfehlen wir Ihnen, zukünftig Vereinbarungen zu höherer Gewalt bzw. zu außergewöhnlichen Umständen in die Verträge mit aufzunehmen (sog. „Force-Majeure-Klauseln“).
Die Aufnahme entsprechender Klauseln in neue Verträge empfiehlt sich allein schon vor dem Hintergrund, dass man die momentan ersichtlichen Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie zukünftig nicht mehr als höhere Gewalt wird einstufen können. Denn wer um Lieferengpässe, Preissteigerungen, Arbeitsausfälle, etc. weiß, wird sich bei Behinderungen im Bauablauf ohne entsprechende vertragliche Regelung nicht mehr auf einen unvorhersehbaren Umstand berufen können. Der genaue Zeitpunkt, ab dem die Gerichte nicht mehr von einer Unvorhersehbarkeit entsprechender Beeinträchtigungen aufgrund der Coronavirus-Pandemie ausgehen, lässt sich derzeit nur schwer abschätzen.
Bitte beachten Sie abschließend, dass es sich bei den vorstehenden Ausführungen lediglich um eine zusammenfassende Darstellung der möglichen rechtlichen Auswirkungen handelt, die eine Beratung im Einzelfall nicht ersetzen kann. Sofern Sie eine individuelle Beratung bzw. Beurteilung der rechtlichen Risiken wünschen, sprechen Sie uns daher jederzeit gerne an.