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BVerfG: Regelungen des Telekommunikationsgesetzes zur Speicherung und Verwendung von Telekommunikationsdaten teilweise verfassungswidrig

Beschluss des BVerfG vom 24.01.2012 - 1 BvR 1299/05

Der Er­ste Se­nat des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts (BVerfG) hat mit Be­schluss vom 24.01.2012 ent­schie­den, dass die Er­he­bung und Spei­che­rung von Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­da­ten nach § 111 TKG so­wie ihre in § 112 TKG ge­re­gelte Ver­wen­dung im au­to­ma­ti­sier­ten Aus­kunfts­ver­fah­ren ver­fas­sungs­gemäß sind. Der hier­durch be­wirkte Ein­griff in das Recht auf in­for­ma­tio­nelle Selbst­be­stim­mung ist nur von be­grenz­tem Ge­wicht und an­ge­sichts der er­streb­ten Ver­bes­se­rung der staat­li­chen Auf­ga­ben­wahr­neh­mung ge­recht­fer­tigt. Für den Da­ten­ab­ruf rei­chen hier­bei auch die all­ge­mei­nen Da­ten­er­he­bungs­vor­schrif­ten der ab­ruf­be­rech­tig­ten Behörden.

Kei­nen Er­folg hat die Ver­fas­sungs­be­schwerde auch in­so­weit, als sie sich ge­gen die in § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG ent­hal­tene Re­ge­lung zur Er­tei­lung all­ge­mei­ner Auskünfte durch die Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­diens­te­an­bie­ter im ma­nu­el­len Aus­kunfts­ver­fah­ren rich­tet. Die Vor­schrift ist je­doch ver­fas­sungs­kon­form so aus­zu­le­gen, dass es für den Da­ten­ab­ruf spe­zi­el­ler fach­recht­li­cher Ermäch­ti­gungs­grund­la­gen be­darf. Zu­dem be­rech­tigt § 113
Abs. 1 Satz 1 TKG nicht zu ei­ner Zu­ord­nung von dy­na­mi­schen IP-Adres­sen. Für eine Überg­angs­zeit, längs­tens bis zum 30. Juni 2013, darf die Vor­schrift un­abhängig von die­sen Maßga­ben an­ge­wen­det wer­den.

Da­ge­gen ist § 113 Abs. 1 Satz 2 TKG mit dem Recht auf in­for­ma­tio­nelle Selbst­be­stim­mung nicht ver­ein­bar. Die Vor­schrift gilt je­doch überg­angs­weise, längs­tens bis zum 30. Juni 2013 mit der Maßgabe fort, dass die Si­che­rungs­codes nur un­ter den Be­din­gun­gen er­ho­ben wer­den dürfen, un­ter de­nen sie nach den je­weils maßgeb­li­chen Vor­schrif­ten (etwa de­nen des Straf­pro­zess­rechts) auch ge­nutzt wer­den dürfen.

§ 111 TKG ver­pflich­tet ge­schäftsmäßige An­bie­ter von Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­diens­ten, die von ih­nen ver­ge­be­nen be­zie­hungs­weise be­reit­ge­stell­ten Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­num­mern (Ruf­num­mern, An­schluss­ken­nun­gen, Mo­bil­fun­kend­geräte­num­mern und Ken­nun­gen von elek­tro­ni­schen Postfächern) so­wie die zu­gehöri­gen persönli­chen Da­ten der An­schlus­sin­ha­ber wie Na­men, An­schrif­ten und Ge­burts­da­ten zu er­he­ben und zu spei­chern.

Die §§ 112, 113 TKG schaf­fen die Grund­lage für zwei ver­schie­dene Ver­fah­ren zur Er­tei­lung von Auskünf­ten aus den nach § 111 TKG ge­spei­cher­ten Da­ten. In dem durch § 112 TKG ge­re­gel­ten au­to­ma­ti­sier­ten Ver­fah­ren müssen die An­bie­ter von Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­diens­ten die Da­ten so be­reit stel­len, dass sie von der Bun­des­netz­agen­tur ohne Kennt­nis­nahme der An­bie­ter ab­ge­ru­fen wer­den können. Die Bun­des­netz­agen­tur hat die Da­ten auf Er­su­chen kon­kret be­zeich­ne­ter Behörden, dar­un­ter ins­be­son­dere der Straf­ver­fol­gungs- und Po­li­zei­voll­zugs­behörden, im au­to­ma­ti­sier­ten Ver­fah­ren ab­zu­ru­fen und die­sen zu über­mit­teln. Die Auskünfte dürfen im­mer er­teilt wer­den, wenn sie zur Erfüllung der ge­setz­li­chen Auf­ga­ben er­for­der­lich sind.

Das in § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG ge­re­gelte ma­nu­elle Ver­fah­ren ver­pflich­tet da­ge­gen die Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­un­ter­neh­men selbst zur Aus­kunfts­er­tei­lung. Aus­kunfts­ver­pflich­tet sind hier nicht nur die An­bie­ter, die Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­dienste der Öff­ent­lich­keit of­fe­rie­ren (z. B. Te­le­fon­ge­sell­schaf­ten oder Pro­vi­der), son­dern darüber hin­aus auch alle, die ge­schäftsmäßig Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­dienste er­brin­gen (z. B. auch Kran­kenhäuser oder ge­ge­be­nen­falls Ho­tels). Aus­kunfts­be­rech­tigt sind nach die­ser Norm grundsätz­lich alle Behörden. Vor­aus­set­zung ist, dass die Aus­kunft im Ein­zel­fall für die Ver­fol­gung von Straf­ta­ten und Ord­nungs­wid­rig­kei­ten, die Ge­fah­ren­ab­wehr oder nach­rich­ten­dienst­li­che Auf­ga­ben er­for­der­lich ist.

§ 113 Abs. 1 Satz 2 TKG re­gelt eine spe­zi­elle Aus­kunfts­pflicht hin­sicht­lich Zu­gangs­si­che­rungs­codes wie Pass­wor­ten oder Persönli­chen Iden­ti­fi­ka­ti­ons­num­mern (PIN). Aus­kunfts­be­rech­tigt sind in­so­weit die Straf­ver­fol­gungs- und Si­cher­heits­behörden so­wie die Nach­rich­ten­dienste.

In Aus­le­gung des § 113 TKG ent­spricht es ver­brei­te­ter, aber um­strit­te­ner
Pra­xis, dass auch Auskünfte über den In­ha­ber ei­ner so­ge­nann­ten dy­na­mi­schen In­ter­net­pro­to­koll­adresse (dy­na­mi­sche IP-Adresse) er­teilt wer­den. Hier­bei han­delt es sich um die Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­num­mern, mit de­nen vor al­lem Pri­vat­per­so­nen nor­ma­ler­weise im In­ter­net sur­fen.

Der Ab­ruf der Da­ten durch die aus­kunfts­be­rech­tig­ten Behörden rich­tet sich nach de­ren ei­ge­nen Rechts­grund­la­gen; in der Pra­xis wur­den hier­bei Rechts­grund­la­gen, die die Behörden all­ge­mein zur Er­he­bung von Da­ten ermäch­ti­gen, als aus­rei­chend an­ge­se­hen.

Die Be­schwer­deführer nut­zen vor­aus­be­zahlte Mo­bil­funk­kar­ten so­wie In­ter­net­zu­gangs­dienste und ma­chen gel­tend, durch die Spei­che­rung ih­rer Da­ten und de­ren mögli­che Über­mitt­lung im Rah­men der Aus­kunfts­ver­fah­ren in ih­ren Grund­rech­ten ver­letzt zu sein.

Der Ent­schei­dung lie­gen nach Aus­sage des BVerfG im We­sent­li­chen fol­gende Erwägun­gen zu­grunde:

I. Die an­ge­grif­fe­nen Vor­schrif­ten sind im We­sent­li­chen am Maßstab des Rechts auf in­for­ma­tio­nelle Selbst­be­stim­mung gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG zu mes­sen. Die in den §§ 111 bis 113 TKG ge­re­gel­ten Pflich­ten der Diens­te­an­bie­ter zur Er­he­bung, Spei­che­rung und Be­reit­stel­lung der Da­ten be­wir­ken ebenso wie die Be­fug­nis der Bun­des­netz­agen­tur zum Zu­griff auf diese Da­ten und zu de­ren Über­mitt­lung be­zie­hungs­weise wie die Be­fug­nis der Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­an­bie­ter zur
Aus­kunfts­er­tei­lung je­weils ei­genständige Ein­griffe in die­ses Grund­recht. Ein wei­te­rer ei­genständi­ger Grund­rechts­ein­griff liegt darüber hin­aus im Ab­ruf der Da­ten, der eine ge­genüber den §§ 112, 113 TKG ei­genständige Rechts­grund­lage er­for­dert. Für Ab­ruf und Aus­kunfts­er­tei­lung müssen da­mit kor­re­spon­die­rende Rechts­grund­la­gen be­ste­hen, die wie Dop­peltüren zu­sam­men­wir­ken. Da­ge­gen grei­fen die an­ge­grif­fe­nen Vor­schrif­ten so­lange sie nicht für die Zu­ord­nung dy­na­mi­scher IP-Adres­sen ge­nutzt wer­den nicht in das Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­ge­heim­nis des Art. 10 Abs. 1 GG ein. Das
Grund­recht schützt al­lein die Ver­trau­lich­keit kon­kre­ter Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­vorgänge, nicht aber die Ver­trau­lich­keit der je­wei­li­gen Umstände der Be­reit­stel­lung von
Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­dienst­leis­tun­gen. Die in den §§ 111 bis 113 TKG an­ge­ord­nete Spei­che­rung und Aus­kunfts­er­tei­lung be­trifft le­dig­lich die ab­strakte Zu­ord­nung von Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­num­mern zu be­stimm­ten An­schlus­sin­ha­bern, die ebenso wie die Zu­ord­nung ei­ner sta­ti­schen IP-Adresse zu einem Nut­zer nicht in den Schutz­be­reich des Art. 10 GG fällt.

Dem­ge­genüber begründet die Zu­ord­nung von dy­na­mi­schen IP-Adres­sen einen Ein­griff in das Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­ge­heim­nis. Denn für die Iden­ti­fi­zie­rung ei­ner dy­na­mi­schen IP-Adresse müssen die Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­un­ter­neh­men die ent­spre­chen­den Ver­bin­dungs­da­ten ih­rer Kun­den sich­ten und so­mit auf kon­krete Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­vorgänge zu­grei­fen, die vom Schutz­be­reich des Art. 10 GG um­fasst sind.

II. Die Spei­che­rungs­pflicht des § 111 TKG ist ver­fas­sungs­recht­lich nicht zu be­an­stan­den. Sie dient dazu, eine verläss­li­che Da­ten­ba­sis für die in §§ 112, 113 TKG ge­re­gelte Aus­kunfts­er­tei­lung vor­zu­hal­ten, die es be­stimm­ten Behörden er­laubt, Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­num­mern in­di­vi­du­el­len An­schlus­sin­ha­bern zu­zu­ord­nen. Die hier­mit er­strebte Ver­bes­se­rung staat­li­cher Auf­ga­ben­wahr­neh­mung vor al­lem im Be­reich der Straf­ver­fol­gung, Ge­fah­ren­ab­wehr und nach­rich­ten­dienst­li­cher Tätig­kei­ten
ist ein le­gi­ti­mer Zweck, der den Grund­rechts­ein­griff recht­fer­tigt. Die in § 111 TKG ge­re­gelte punk­tu­elle Vor­hal­tung be­stimm­ter, be­grenz­ter und in ih­rem In­for­ma­ti­ons­ge­halt ge­nau um­schrie­be­ner Da­ten für die in den §§ 112, 113 TKG ein­ge­hend de­fi­nier­ten Ver­wen­dungs­zwe­cke verstößt nicht ge­gen das strikte Ver­bot der Vor­rats­da­ten­spei­che­rung.

§ 111 TKG ist verhält­nismäßig. An­ge­sichts des nicht sehr weit rei­chen­den In­for­ma­ti­ons­ge­halts der er­fass­ten Da­ten han­delt es sich um einen Ein­griff von nur be­grenz­tem Ge­wicht. Sie ge­ben aus sich her­aus noch kei­nen Auf­schluss über kon­krete Ak­ti­vitäten Ein­zel­ner, son­dern ermögli­chen al­lein die in­di­vi­dua­li­sie­rende Zu­ord­nung von Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­num­mern zu den je­wei­li­gen An­schlus­sin­ha­bern.

Grund­le­gend an­ders als im Fall der vor­sorg­li­chen Spei­che­rung sämt­li­cher Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­kehrs­da­ten um­fas­sen diese Da­ten als sol­che we­der
höchst­persönli­che In­for­ma­tio­nen noch ist mit ih­nen die Er­stel­lung von Persönlich­keits- oder Be­we­gungs­pro­fi­len möglich. Auch er­fasst § 111 TKG nicht die dy­na­mi­schen IP-Adres­sen. Die Möglich­keit der Zu­ord­nung der in § 111 TKG er­fass­ten Da­ten dient ei­ner ef­fek­ti­ven Auf­ga­ben­wahr­neh­mung der in den Ver­wen­dungs­vor­schrif­ten näher be­stimm­ten Behörden. Sie ist ver­fas­sungs­recht­lich da­durch ge­recht­fer­tigt, dass der Staat an­lass­be­zo­gen ein le­gi­ti­mes In­ter­esse an der Aufklärung be­stimm­ter Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­vorgänge ha­ben und die­sem In­ter­esse zur Erfüllung be­stimm­ter Auf­ga­ben ein er­heb­li­ches, in Ein­zelfällen auch über­ra­gen­des Ge­wicht zu­kom­men kann.

III. Das au­to­ma­ti­sierte Aus­kunfts­ver­fah­ren gemäß § 112 TKG ist eben­falls mit der Ver­fas­sung ver­ein­bar. Die Vor­schrift ist Rechts­grund­lage für die Pflicht der Diens­te­an­bie­ter zur Be­reit­stel­lung der Da­ten als Kun­den­da­tei so­wie für den Zu­griff auf diese Da­ten durch die Bun­des­netz­agen­tur und de­ren Über­mitt­lung an die aus­kunfts­be­rech­tig­ten Behörden. Für den Ab­ruf der Da­ten durch die Behörden setzt § 112 TKG dem „Dop­peltüren­mo­dell“ ent­spre­chend eine ei­gene Ermäch­ti­gungs­grund­lage vor­aus, wo­bei die all­ge­mei­nen Da­ten­er­he­bungs­vor­schrif­ten der je­weils aus­kunfts­be­rech­tig­ten Behörden aus­rei­chen.

1. § 112 TKG verstößt nicht ge­gen die Kom­pe­tenz­ord­nung des Grund­ge­set­zes. Der Bund durfte das au­to­ma­ti­sierte Aus­kunfts­ver­fah­ren auf der Grund­lage sei­ner Kom­pe­tenz für das Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­recht gemäß Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 GG re­geln. Hierzu gehört auch die Re­ge­lung des Da­ten­schut­zes in die­sem Be­reich und zu­gleich die Fest­le­gung, wann eine Behörde in Öff­nung die­ser da­ten­schutz­recht­li­chen An­for­de­run­gen Da­ten über­mit­teln darf. Dem­ge­genüber en­det seine Ge­setz­ge­bungs­be­fug­nis dort, wo es um den Ab­ruf sol­cher In­for­ma­tio­nen geht. Die Ermäch­ti­gun­gen zum Da­ten­ab­ruf selbst bedürfen ei­nes ei­ge­nen Kom­pe­tenz­ti­tels des Bun­des oder müssen den Ländern über­las­sen blei­ben. Da § 112 TKG le­dig­lich den
Da­ten­aus­tausch zwi­schen Behörden re­gelt, be­ste­hen kom­pe­tenz­recht­lich keine Be­den­ken, dass der Bund das Aus­kunfts­ver­fah­ren so­weit re­gelt, dass die Länder für den Da­ten­ab­ruf nur noch all­ge­meine Da­ten­er­he­bungs­grund­la­gen be­reit­stel­len müssen. Denn das Letz­tent­schei­dungs­recht der Länder über das Ob und Wie des Da­ten­ab­rufs bleibt un­berührt.

2. § 112 TKG genügt den An­for­de­run­gen des Verhält­nismäßig­keits­grund­sat­zes. Die Vor­schrift dient der Ef­fek­ti­vie­rung der staat­li­chen Auf­ga­ben­wahr­neh­mung. Bei den Zwecken, für die den Behörden Auskünfte nach § 112 Abs. 2 TKG er­teilt wer­den, han­delt es sich um zen­trale Auf­ga­ben der Gewähr­leis­tung von Si­cher­heit. An­ge­sichts der Be­deu­tung elek­tro­ni­scher Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel und des fort­ent­wi­ckel­ten Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­hal­tens der Men­schen in al­len Le­bens­be­rei­chen sind die Behörden dar­auf an­ge­wie­sen, Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­num­mern in­di­vi­du­ell zu­ord­nen zu können. Es ist ver­fas­sungs­recht­lich nicht zu be­an­stan­den­den, wenn der Ge­setz­ge­ber die Über­mitt­lung die­ser Auskünfte er­laubt, um Straf­ta­ten und Ge­fah­ren auf­zuklären, ver­fas­sungs­be­droh­li­che Ent­wick­lun­gen zur In­for­ma­tion der Re­gie­rung und der Öff­ent­lich­keit zu be­ob­ach­ten oder in Not­si­tua­tio­nen zu hel­fen.

Un­verhält­nismäßig ist die Vor­schrift nach dem der­zei­ti­gen Stand der tech­ni­schen Ent­wick­lung und Pra­xis auch nicht in­so­weit, als sie un­ter Umständen die Iden­ti­fi­zie­rung von sta­ti­schen IP-Adres­sen ermöglicht. Denn da diese zum ge­genwärti­gen Zeit­punkt in al­ler Re­gel nur In­sti­tu­tio­nen und Großnut­zern, nicht aber pri­va­ten Nut­zern als Ein­zel­kun­den zu­ge­wie­sen wer­den, hat die Möglich­keit der Ab­frage sol­cher Num­mern nur ge­rin­ges Ge­wicht. Al­ler­dings trifft den Ge­setz­ge­ber in­so­weit eine Be­ob­ach­tungs- und ge­ge­be­nen­falls Nach­bes­se­rungs­pflicht. Die dy­na­mi­schen IP-Adres­sen sind von § 111 TKG je­doch nicht um­fasst, so­dass § 112 TKG dies­bezüglich eine Dea­nony­mi­sie­rung nicht ermöglicht. I

V. Das ma­nu­elle Aus­kunfts­ver­fah­ren gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG ist gleich­falls mit der Ver­fas­sung ver­ein­bar.

1. Die Vor­schrift be­darf aber in zwei­fa­cher Hin­sicht ei­ner ver­fas­sungs­kon­for­men Aus­le­gung.

a) Zum einen ist sie so­wohl aus kom­pe­tenz­recht­li­chen als auch aus rechts­staat­li­chen Gründen so aus­zu­le­gen, dass sie für sich al­lein  Aus­kunfts­pflich­ten der Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­un­ter­neh­men noch nicht begründet. Da es sich um Aus­kunfts­pflich­ten Pri­va­ter han­delt, be­darf es für den Ab­ruf der Da­ten sei­tens der aus­kunfts­be­rech­tig­ten Behörden fach­recht­li­cher, ge­ge­be­nen­falls lan­des­recht­li­cher
Ermäch­ti­gungs­grund­la­gen, die eine Ver­pflich­tung der Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­diens­te­an­bie­ter ge­genüber den ab­ruf­be­rech­tig­ten Behörden ei­genständig und nor­men­klar begründen. Denn kom­pe­tenz­recht­lich gehört die Begründung ei­ner Aus­kunfts­pflicht Pri­va­ter nicht mehr zur Re­ge­lung der Über­mitt­lungs­zwe­cke, son­dern zum Da­ten­ab­ruf. Aus dem Grund­satz der Nor­men­klar­heit er­gibt sich, dass in­so­weit hin­rei­chend klar ge­re­gelt sein muss, ge­genüber wel­chen Behörden die An­bie­ter kon­kret zur Da­tenüber­mitt­lung ver­pflich­tet sein sol­len.

b) Zum an­de­ren darf die Vor­schrift nicht zur Zu­ord­nung von dy­na­mi­schen IP-Adres­sen an­ge­wen­det wer­den. Dies ver­bie­tet sich schon des­halb, weil die Zu­ord­nung von dy­na­mi­schen IP-Adres­sen als Ein­griff in Art. 10 Abs. 1 GG zu qua­li­fi­zie­ren ist. Für sol­che Ein­griffe gilt das Zi­tier­ge­bot gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG, wo­nach der Ge­setz­ge­ber das Grund­recht, in das ein­ge­grif­fen wird, un­ter An­gabe des Ar­ti­kels nen­nen muss. Daran fehlt es vor­lie­gend. Im Übri­gen ist in § 113 Abs. 1 TKG nicht hin­rei­chend klar ge­re­gelt, ob mit ihm auch eine Iden­ti­fi­zie­rung sol­cher Adres­sen, die ein ei­ge­nes Ge­wicht hat, er­laubt wer­den soll.

2. Aus­ge­hend von den vor­ste­hen­den Maßga­ben genügt § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG den An­for­de­run­gen des Verhält­nismäßig­keits­grund­sat­zes. An­ge­sichts des be­grenz­ten In­for­ma­ti­ons­ge­halts der be­tref­fen­den Da­ten so­wie ih­rer großen Be­deu­tung für eine ef­fek­tive Auf­ga­ben­wahr­neh­mung ist die Reich­weite der Vor­schrift ver­fas­sungs­recht­lich nicht zu be­an­stan­den. Sie ermöglicht kei­nes­wegs Auskünfte ins Blaue hin­ein als all­ge­mei­nes Mit­tel für einen ge­set­zesmäßigen Ver­wal­tungs­voll­zug, son­dern setzt im
Ein­zel­fall die Er­for­der­lich­keit zur Wahr­neh­mung ei­ner si­cher­heits­recht­lich geprägten Auf­gabe vor­aus. Auch der weite Kreis der Aus­kunfts­ver­pflich­te­ten ist mit Blick auf das Ziel ei­ner Ef­fek­ti­vie­rung der Er­mitt­lungsmöglich­kei­ten ge­recht­fer­tigt.

V. Da­ge­gen ver­letzt die Vor­schrift des § 113 Abs. 1 Satz 2 TKG das Grund­recht auf in­for­ma­tio­nelle Selbst­be­stim­mung, weil sie nicht den An­for­de­run­gen des Verhält­nismäßig­keits­grund­sat­zes genügt. Die Re­ge­lung be­trifft die Zu­gangs­si­che­rungs­codes, die den Zu­gang zu End­geräten si­chern und da­mit die Be­tref­fen­den vor einem Zu­griff auf die ent­spre­chen­den Da­ten be­zie­hungs­weise Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­vorgänge schützen. Der Zu­griff auf diese Da­ten ist je­doch in dem Um­fang, wie ihn § 113 Abs. 1 Satz 2 TKG re­gelt, für die ef­fek­tive Auf­ga­ben­wahr­neh­mung die­ser Behörden nicht er­for­der­lich. Die Vor­schrift macht sie den Behörden zugäng­lich und ver­setzt sie da­mit in die Lage, die ent­spre­chen­den Bar­rie­ren zu über­win­den, ohne die Vor­aus­set­zun­gen für die Nut­zung die­ser Codes zu re­geln. Diese sol­len sich viel­mehr, wie § 113 Abs. 1 Satz 3 TKG klar­stellt, al­lein nach ei­genständi­gen Rechts­grund­la­gen des Fach­rechts, so z. B. nach den ent­spre­chen­den Vor­schrif­ten der Straf­pro­zess­ord­nung, be­stim­men. Es ist je­doch kein Grund er­sicht­lich, wa­rum die Behörden die in § 113 Abs. 1 Satz 2 TKG ge­re­gel­ten Zu­gang­scodes un­abhängig von den An­for­de­run­gen an de­ren Nut­zung und da­mit ge­ge­be­nen­falls un­ter leich­te­ren Vor­aus­set­zun­gen ab­fra­gen können sol­len. Die Er­he­bung der in § 113 Abs. 1 Satz 2 TKG ge­re­gel­ten Zu­gangs­da­ten ist mit Blick auf die dort ver­folg­ten Zwecke nur dann er­for­der­lich, wenn auch die Vor­aus­set­zun­gen von de­ren Nut­zung ge­ge­ben sind. Dies stellt die Re­ge­lung des § 113 Abs. 1 Satz 2 TKG in ih­rer der­zei­ti­gen Fas­sung nicht hin­rei­chend si­cher.

VI. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat die ver­fas­sungs­wid­rige Vor­schrift des § 113 Abs. 1 Satz 2 TKG nicht für nich­tig erklärt, son­dern ihre be­fris­tete Fort­gel­tung an­ge­ord­net mit Maßgabe, dass die Si­cher­heits­behörden Auskünfte über Zu­gangs­si­che­rungs­codes wie PIN und PUK nur dann ver­lan­gen dürfen, wenn die ge­setz­li­chen Vor­aus­set­zun­gen für ihre Nut­zung ge­ge­ben sind. Denn die Nich­ti­gerklärung hätte zur Folge, dass auch für die Fälle, in de­nen die Behörden zu Recht zur Ver­hin­de­rung oder Ahn­dung ge­wich­ti­ger Rechts­guts­ver­let­zun­gen auf
Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­da­ten Zu­griff neh­men dürfen, nicht hin­rei­chend ge­si­chert wäre, dass sie hierzu in der Lage sind. Dies wäre an­ge­sichts des be­grenz­ten Ge­wichts des Grund­rechts­ein­griffs auch zwi­schen­zeit­lich nicht hin­zu­neh­men. Ei­ner Überg­angs­re­ge­lung be­darf es aus den­sel­ben Gründen auch bezüglich der ver­fas­sungs­recht­li­chen An­for­de­run­gen an die Aus­le­gung des § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG. Würden diese An­for­de­run­gen so­fort wirk­sam, wären in zahl­rei­chen Fällen bis zum Er­lass neuer Ab­ruf­re­ge­lun­gen des Fach­rechts we­der Auskünfte zu Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­num­mern möglich noch könn­ten dy­na­mi­sche IP-Adres­sen iden­ti­fi­ziert wer­den.

Quelle: Pres­se­mit­tei­lung Nr. 13/2012 vom 24. Fe­bruar 2012

Den Be­schluss des BVerfG im Voll­text fin­den Sie hier.

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