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Bürgschaft: Sittenwidrigkeit wegen krasser Überforderung bei Folgeverträgen

BGH 1.4.2014, XI ZR 276/13

Da es sich bei der Her­lei­tung ei­nes Zah­lungs­an­spruchs aus meh­re­ren selbständi­gen Bürg­schafts­verträgen um meh­rere Streit­ge­genstände han­delt, kann we­gen § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 308 Abs. 1 und § 322 Abs. 1 ZPO nicht of­fen blei­ben, auf wel­cher ver­trag­li­chen Ver­ein­ba­rung zwi­schen Gläubi­ger und Bürge und auf wel­cher Haupt­schuld die Ver­ur­tei­lung be­ruht. Wert­an­ga­ben des Bürgen in ei­ner in zeit­li­chem Zu­sam­men­hang mit dem Ab­schluss des Bürg­schafts­ver­tra­ges er­teil­ten Selbst­aus­kunft, die seine ob­jek­tiv krasse fi­nan­zi­elle Über­for­de­rung nicht er­ken­nen las­sen, wi­der­le­gen die tatsäch­li­che Ver­mu­tung ei­ner ver­werf­li­chen Ge­sin­nung des Gläubi­gers nicht ohne wei­te­res.

Der Sach­ver­halt:
Die Be­klagte hatte im Ja­nuar 2002, Juli 2002 und Sep­tem­ber 2003 Erklärun­gen über "be­tragsmäßig be­schränkte Bürg­schaf­ten" un­ter­schrie­ben, in de­nen sie sich zunächst i.H.v. 41.000 € und so­dann i.H.v. 45.000 € für For­de­run­gen der Kläge­rin ge­gen ih­ren Le­bens­gefähr­ten verbürgte. Im No­vem­ber 2005 un­ter­schrieb sie ein wei­te­res For­mu­lar über eine "be­tragsmäßig be­schränkte Bürg­schaft", das einen Höchst­be­trag von 40.000 € aus­wies. Der Erklärung der Be­klag­ten lag eine Selbst­aus­kunft aus Ok­to­ber 2005 zu­grunde, in der sie u.a. ihr mo­nat­li­ches Net­to­ar­beits­ein­kom­men mit 322 €, mo­nat­li­che Einkünfte aus Ver­mie­tung und Ver­pach­tung mit knapp 945 €, den Wert ei­nes Wohn­grundstücks von ca. 225.000 € und die Summe ih­rer Ver­bind­lich­kei­ten ge­genüber ei­ner an­de­ren Bank mit et­was über 171.000 € an­ge­ge­ben hatte.

Nach ei­ner letz­ten Bürg­schafts­erklärung im Fe­bruar 2007 kündigte die Kläge­rin im Ja­nuar 2012 die "Ge­schäfts­ver­bin­dung" zum in­zwi­schen in­sol­ven­ten Le­bens­gefähr­ten der Be­klag­ten und nahm sie an­schließend als Bürgin in An­spruch. Das LG gab der auf Zah­lung von 40.000 € ge­rich­te­ten Klage statt, wo­bei es die Ver­pflich­tung der Be­klag­ten aus dem Bürg­schafts­ver­trag von No­vem­ber 2005 her­ge­lei­tet hatte. Die Be­ru­fung der Be­klag­ten vor dem OLG blieb er­folg­los. Auf die hier­ge­gen ge­rich­tete Nicht­zu­las­sungs­be­schwerde der Be­klag­ten hob der BGH den vor­be­zeich­nete Be­schluss auf und wies die Sa­che zur neuen Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das OLG zurück.

Gründe:
Die Ent­schei­dung des Be­ru­fungs­ge­rich­tes be­ruhte auf der Ver­let­zung des Art. 103 Abs. 1 GG, weil nicht aus­ge­schlos­sen wer­den konnte, dass das OLG bei Berück­sich­ti­gung des überg­an­ge­nen Vor­brin­gens an­ders ent­schie­den hätte. Das war der Fall, weil es maßgeb­lich dar­auf ab­ge­stellt hatte, die Kläge­rin habe bis Ende Juni 2012 kei­nen An­lass ge­habt, die Leis­tungsfähig­keit der Be­klag­ten neu und an­ders zu be­ur­tei­len. Da es sich bei der Her­lei­tung ei­nes Zah­lungs­an­spruchs aus meh­re­ren selbständi­gen Bürg­schafts­verträgen um meh­rere Streit­ge­genstände han­delte, konnte we­gen § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 308 Abs. 1 und § 322 Abs. 1 ZPO nicht of­fen blei­ben, auf wel­cher ver­trag­li­chen Ver­ein­ba­rung zwi­schen Gläubi­ger und Bürge und auf wel­cher Haupt­schuld die Ver­ur­tei­lung be­ruhte.

Sollte das Be­ru­fungs­ge­richt fest­stel­len, dass ein­zelne der zwi­schen den Par­teien ge­schlos­se­nen Ver­ein­ba­run­gen (le­dig­lich) Ände­rungs­verträge zum Ge­gen­stand hat­ten, wird es die Un­ter­su­chung der Frage, ob der Bürg­schafts­ver­trag we­gen kras­ser fi­nan­zi­el­ler Über­for­de­rung der Be­klag­ten sit­ten­wid­rig und da­mit nich­tig ist, auf den Aus­gangs­ver­trag be­zo­gen zu be­ant­wor­ten ha­ben, so­fern die Ände­rungs­verträge le­dig­lich eine An­pas­sung der Bürg­schaft an den Um­fang der Haupt­schuld und nicht den Um­fang der Bürg­schaft selbst zum Ge­gen­stand hat­ten. Bei der Prüfung des § 138 Abs. 1 BGB wird zu be­den­ken sein, dass eine krasse fi­nan­zi­elle Über­for­de­rung aus­schei­det, wenn die Bürgen­schuld durch den Wert ei­nes dem Bürgen gehören­den Grundstücks ab­ge­deckt ist.

Bei der Be­ur­tei­lung der wirt­schaft­li­chen Leis­tungsfähig­keit ist nur der im Ein­zel­fall ef­fek­tiv verfügbare Si­che­rungs­wert des Grund­ei­gen­tums in An­satz zu brin­gen. Zum Zeit­punkt des Ver­trags­schlus­ses auf dem Grund­ei­gen­tum ru­hende ding­li­che Be­las­tun­gen sind wert­min­dernd zu berück­sich­ti­gen, wo­bei aus­ge­hend von die­sem Zeit­punkt der Um­fang der ding­li­chen Be­las­tung bei Ein­tritt des Si­che­rungs­falls zu pro­gnos­ti­zie­ren ist. Dar­le­gungs- und be­weis­pflich­tig dafür, die von ihr über­nom­mene Bürg­schaft habe bei Stel­lung der Per­so­nal­si­cher­heit ihre Leis­tungsfähig­keit bei wei­tem über­schrit­ten, ist die Be­klagte. Wert­an­ga­ben des Bürgen in ei­ner in zeit­li­chem Zu­sam­men­hang mit dem Ab­schluss des Bürg­schafts­ver­tra­ges er­teil­ten Selbst­aus­kunft, die seine ob­jek­tiv krasse fi­nan­zi­elle Über­for­de­rung nicht er­ken­nen las­sen, wi­der­le­gen die tatsäch­li­che Ver­mu­tung ei­ner ver­werf­li­chen Ge­sin­nung des Gläubi­gers nicht ohne wei­te­res.

Den (sub­jek­ti­ven) Vor­wurf der Sit­ten­wid­rig­keit räumen sie nur aus, wenn sie ei­ner sorgfälti­gen Überprüfung des Gläubi­gers stand­hal­ten. Das be­darf für die Selbst­aus­kunft aus Ok­to­ber 2005 näherer Überprüfung, da sie auf ex­akte An­ga­ben ver­zich­tete und da­mit schon aus sich her­aus zu Zwei­feln an ih­rer Verläss­lich­keit An­lass gab. So­fern das Be­ru­fungs­ge­richt da­hin ge­lan­gen sollte, die Bürgen­schuld sei durch den Wert des der Be­klag­ten gehören­den Grundstücks nicht ab­ge­deckt, wird es sich mit der Frage zu be­fas­sen ha­ben, ob die Be­klagte bei Ab­schluss des vom Be­ru­fungs­ge­richt als maßgeb­lich er­mit­tel­ten Bürg­schafts­ver­tra­ges (we­nigs­tens) in der Lage war, die Zins­last aus dem pfänd­ba­ren Teil ih­res Ein­kom­mens, bei des­sen Er­mitt­lung Einkünfte aus Ver­mie­tung und Ver­pach­tung mit zu berück­sich­ti­gen sind, bei Ein­tritt des Si­che­rungs­fal­les dau­er­haft zu tra­gen.

Link­hin­weis:

  • Der Voll­text der Ent­schei­dung ist auf der Home­page des BGH veröff­ent­licht.
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