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BGH zum Anspruch auf Ausgleichszahlung für verpassten Anschlussflug

Urteil des BGH vom 7. Mai 2013 – X ZR 127/11
Die Kläge­rin nimmt die Be­klagte aus ei­ge­nem und ab­ge­tre­te­nem Recht ei­nes Mit­rei­sen­den auf eine Aus­gleichs­zah­lung in Höhe von je­weils 600 € nach der Flug­gast­rech­te­ver­ord­nung (Ver­ord­nung (EG) Nr. 261/2004) in An­spruch.
Die Rei­sen­den buch­ten bei der be­klag­ten Ibe­ria S.A. für den 20. Ja­nuar 2010 eine Flug­reise von Ber­lin-Te­gel über Ma­drid nach San José (Costa Rica). Der Start des von der Be­klag­ten durch­geführ­ten Flu­ges von Ber­lin nach Ma­drid er­folgte mit ei­ner Verspätung von ein­ein­halb Stun­den, was dazu führte, dass die Rei­sen­den den An­schluss­flug nach San José nicht mehr er­reich­ten, weil der Ein­stei­ge­vor­gang be­reits be­en­det war, als sie an dem be­tref­fen­den Aus­gang an­ka­men. Sie wur­den erst am fol­gen­den Tag nach San José befördert.
Das Amts­ge­richt hat die Klage ab­ge­wie­sen. Die Be­ru­fung der Kläge­rin ist er­folg­los ge­blie­ben. Auf ihre Re­vi­sion hat der Bun­des­ge­richts­hof (BGH) die Be­klagte nun­mehr an­trags­gemäß zur Zah­lung ver­ur­teilt.
Zwar ha­ben die Vor­in­stan­zen zu Recht an­ge­nom­men, dass der Be­klag­ten die von der Kläge­rin gel­tend ge­machte Beförde­rungs­ver­wei­ge­rung ("Nicht­beförde­rung" nach Art. 4 der Flug­gast­rech­te­ver­ord­nung*) nicht zur Last fällt, weil der Ein­stei­ge­vor­gang (Boar­ding) be­reits be­en­det war, als die Rei­sen­den den Aus­gang er­reich­ten. Die Kla­ge­for­de­rung ist je­doch un­ter dem Ge­sichts­punkt der großen Verspätung begründet.
Wie der Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Union (EuGH) in dem Ur­teil "Stur­geon" vom 19. No­vem­ber 2009 auf die Vor­lage des Bun­des­ge­richts­hofs ent­schie­den und im Fall "Nel­son" mit Ur­teil vom 23. Ok­to­ber 2012 bestätigt hat, ha­ben nicht nur, wie in Art. 5 der Ver­ord­nung** be­stimmt, die Fluggäste an­nul­lier­ter Flüge, son­dern auch die Fluggäste verspäte­ter Flüge den in Art. 7 der Ver­ord­nung*** vor­ge­se­he­nen Aus­gleichs­an­spruch, wenn sie in­folge der Verspätung ihr End­ziel erst drei Stun­den nach der vor­ge­se­he­nen An­kunfts­zeit oder noch später er­rei­chen. Nach dem EuGH-Ur­teil vom 23. Fe­bruar 2013 in der Sa­che "Air France/Fol­kerts" (in der die gleich­falls für den 7. Mai 2013 zur Ver­hand­lung ter­mi­nierte Re­vi­sion [s. Pres­se­mit­tei­lung 80/2013] von Air France zurück­ge­nom­men wor­den ist) setzt die­ser An­spruch nicht vor­aus, dass die verspätete Er­rei­chung des End­ziels dar­auf be­ruht, dass sich der Ab­flug des verspäte­ten Flugs um die in Art. 6 Abs. 1 der Ver­ord­nung**** ge­nann­ten Zei­ten verzögert hat. Es genügt da­her, dass der verspätete Ab­flug in Ber­lin dafür ursäch­lich war, dass die Rei­sen­den den An­schluss­flug von Ma­drid nach San José nicht mehr er­rei­chen konn­ten und in­fol­ge­des­sen ihr End­ziel erst mit eintägi­ger Verspätung er­reicht ha­ben.
In einem sol­chen Fall ist, wie der für das Reise- und Per­so­nen­beförde­rungs­recht zuständige X. Zi­vil­se­nat klar­stellt, un­er­heb­lich, ob der An­schluss­flug selbst verspätet ist oder über­haupt in den An­wen­dungs­be­reich der Ver­ord­nung fällt. Die Auf­fas­sung des be­klag­ten Luft­ver­kehrs­un­ter­neh­mens, der EuGH habe mit der An­er­ken­nung ei­nes Aus­gleichs­an­spruchs für einen sol­chen Fall seine Kom­pe­ten­zen über­schrit­ten, teilt der X. Zi­vil­se­nat nicht. *Art. 4 der Ver­ord­nung [Nicht­beförde­rung] (3) Wird Fluggästen ge­gen ih­ren Wil­len die Beförde­rung ver­wei­gert, so er­bringt das ausführende Luft­fahrt­un­ter­neh­men die­sen un­verzüglich die Aus­gleichs­leis­tun­gen gemäß Ar­ti­kel 7 und die Un­terstützungs­leis­tun­gen gemäß den Ar­ti­keln 8 und 9. **Art. 5 der Ver­ord­nung [An­nul­lie­rung] (1) Bei An­nul­lie­rung ei­nes Flu­ges wer­den den be­trof­fe­nen Fluggästen … c) vom ausführen­den Luft­fahrt­un­ter­neh­men ein An­spruch auf Aus­gleichs­leis­tun­gen gemäß Ar­ti­kel 7 ein­geräumt … ***Art. 7 der Ver­ord­nung [Aus­gleichs­an­spruch] (1) Wird auf die­sen Ar­ti­kel Be­zug ge­nom­men, so er­hal­ten die Fluggäste Aus­gleichs­zah­lun­gen in fol­gen­der Höhe: … c) 600 EUR bei al­len nicht un­ter Buch­stabe a oder b fal­len­den Flügen. … ****Art. 6 der Ver­ord­nung [Verspätung] (1) Ist für ein ausführen­des Luft­fahrt­un­ter­neh­men nach vernünf­ti­gem Er­mes­sen ab­seh­bar, dass sich der Ab­flug a) bei al­len Flügen über eine Ent­fer­nung von 1 500 km oder we­ni­ger um zwei Stun­den oder mehr oder b) bei al­len in­ner­ge­mein­schaft­li­chen Flügen über eine Ent­fer­nung von mehr als 1 500 km und bei al­len an­de­ren Flügen über eine Ent­fer­nung zwi­schen 1 500 km und 3 500 km um drei Stun­den oder mehr oder c) bei al­len nicht un­ter Buch­stabe a oder b fal­len­den Flügen um vier Stun­den oder mehr ge­genüber der planmäßigen Ab­flug­zeit verzögert, so wer­den den Fluggästen vom ausführen­den Luft­fahrt­un­ter­neh­men i) die Un­terstützungs­leis­tun­gen gemäß Ar­ti­kel 9 Ab­satz 1 Buch­stabe a und Ab­satz 2 an­ge­bo­ten, ii) wenn die nach vernünf­ti­gem Er­mes­sen zu er­war­tende Ab­flug­zeit erst am Tag nach der zu­vor an­gekündig­ten Ab­flug­zeit liegt, die Un­terstützungs­leis­tun­gen gemäß Ar­ti­kel 9 Ab­satz 1 Buch­sta­ben b und c an­ge­bo­ten und, iii) wenn die Verspätung min­des­tens fünf Stun­den beträgt, die Un­terstützungs­leis­tun­gen gemäß Ar­ti­kel 8 Ab­satz 1 Buch­stabe a an­ge­bo­ten. Quelle: Pres­se­mit­tei­lung des BGH Nr. 83/2013 vom 07.05.2013 
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