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BGH: Konkrete Kausalität ist auch bei extrem unseriösen Kapitalmarktinformationen unverzichtbar

Urteil des BGH vom 4.6.2013 - VI ZR 288/12

Selbst wenn eine Ka­pi­tal­markt­in­for­ma­tion ex­trem un­seriös ist, kann auf den Nach­weis der kon­kre­ten Kau­sa­lität ei­ner Ka­pi­tal­markt­in­for­ma­tion für den Wil­lens­ent­schluss des je­wei­li­gen An­le­gers im Rah­men des An­spruch­stat­be­stan­des des § 826 BGB nicht ver­zich­tet wer­den. Eine "ge­ne­relle" - un­abhängig von der Kennt­nis des po­ten­ti­el­len An­le­gers pos­tu­lierte - Kau­sa­lität ei­ner fal­schen Wer­be­aus­sage ist un­ter Schutz­nor­ma­spek­ten un­ver­tret­bar.

Der Sach­ver­halt:
Die Be­klagte ist eine nicht börsen­no­tierte AG, die ih­ren Sitz in der Türkei hat. Sie ver­kaufte ab dem Jahr 1990 in Deutsch­land an Teile der türki­sch-stämmi­gen Bevölke­rung Fir­men­an­teile, wo­bei sie weit­ge­hend auf­grund von Mund-zu-Mund-Pro­pa­ganda da­mit warb, dass es sich um eine mit is­la­mi­schen Glau­bens­grundsätzen kon­forme Al­ter­na­tive zu herkömm­li­chen, ver­zins­li­chen Geld­an­la­gen handle. Der ehe­ma­lige Vor­stands­vor­sit­zende in­stru­ierte die Ver­mitt­ler, die In­ter­es­sen­ten darüber zu in­for­mie­ren, dass die Teil­ha­ber­schaft an der Be­klag­ten je­der­zeit mit ei­ner Frist von drei Mo­na­ten gekündigt wer­den könne, die An­teile dann zurück­ge­nom­men und der An­la­ge­be­trag er­stat­tet würden. In drin­gen­den Fällen er­folge die Rück­ab­wick­lung so­fort. Diese In­for­ma­tion ent­hielt auch ein im Ja­nuar 1994 ver­fass­tes Rund­schrei­ben.

Bis in das Jahr 2001 wur­den An­teilskäufe auf Ver­lan­gen der Teil­ha­ber von der Be­klag­ten rück­ab­ge­wi­ckelt. Die An­teile wur­den an an­dere In­ter­es­sen­ten wei­ter­ver­kauft oder von Toch­ter­un­ter­neh­men der Be­klag­ten über­nom­men. Dann stellte die Be­klagte die Zah­lung von Aus­schüttun­gen und die Rück­zah­lung an­ge­leg­ter Gelder ein. Im Jahr 2007 wurde In­sol­venz an­ge­mel­det.

Die Kläge­rin er­warb in den Jah­ren 2000/2001 An­teils­scheine an der Be­klag­ten. Sie sah sich durch das der Be­klag­ten zu­zu­rech­nende Ver­hal­ten des früheren Vor­stands­vor­sit­zen­den darüber getäuscht, dass es sich um eine si­chere Geld­an­lage in der Art ei­nes Dar­le­hens oder ei­ner An­leihe mit ei­ner Ga­ran­tie für die Rück­for­de­rung des Ka­pi­tals handle. Die Kläge­rin ver­langte so ge­stellt zu wer­den, als hätte sie die Ka­pi­tal­an­la­gen nicht getätigt.

Das LG wies die Klage ab; das OLG gab ihr statt. Auf die Re­vi­sion der Be­klag­ten hob der BGH das Be­ru­fungs­ur­teil auf und wies die Be­ru­fung der Kläge­rin zurück.

Gründe:
Zu Un­recht hatte das OLG einen An­spruch der Kläge­rin ge­gen die Be­klagte auf Scha­dens­er­satz we­gen vorsätz­li­cher sit­ten­wid­ri­ger Schädi­gung gem. §§ 826, 31 BGB, § 830 BGB ana­log be­jaht.

Ein Ver­hal­ten ist sit­ten­wid­rig, wenn es ge­gen das An­stands­gefühl al­ler bil­lig und ge­recht Den­ken­den verstößt. Ein Un­ter­las­sen ver­letzt die gu­ten Sit­ten nur dann, wenn das ge­for­derte Tun einem sitt­li­chen Ge­bot ent­spricht. Hierfür reicht die Nichterfüllung ei­ner all­ge­mei­nen Rechts­pflicht, aber auch ei­ner ver­trag­li­chen Pflicht nicht aus. Im vor­lie­gen­den Fall konnte nicht da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass die Or­gane der Be­klag­ten von vorn­her­ein in dem Be­wusst­sein ei­ner mögli­chen An­le­ger­schädi­gung sys­te­ma­ti­sch Gelder ein­sam­meln woll­ten. Hierfür sprach nicht schon, dass die Be­klagte in­zwi­schen keine Ge­winne mehr aus­schüttet und die bei ihr an­ge­leg­ten Gelder nicht zurück­zahlt. Bei ei­ner un­ter­neh­me­ri­schen Be­tei­li­gung muss außer­dem mit Ver­lus­ten bis zum To­tal­ver­lust des Ka­pi­tals ge­rech­net wer­den, wenn man­gels wirt­schaft­li­chen Er­folgs Ge­winn­aus­schüttun­gen nicht in Frage kom­men und In­ter­es­sen­ten für die Über­nahme der Be­tei­li­gung we­gen der wirt­schaft­li­chen Miss­er­folge des Un­ter­neh­mens feh­len.

Ent­ge­gen der An­sicht des Be­ru­fungs­ge­richts haf­tete die Be­klagte recht­lich nicht al­lein dafür, dass sich die Kläge­rin fal­sche Vor­stel­lun­gen über Wert­hal­tig­keit und Rück­ga­bemöglich­keit der von ihr ge­kauf­ten An­teile ge­macht hatte. Es las­tete der Be­klag­ten an, dass das Feh­len ei­nes Rechts­an­spruchs nicht of­fen­ge­legt wor­den war. Die­ses Versäum­nis begründete al­ler­dings nicht die Haf­tung we­gen sit­ten­wid­ri­gen Ver­hal­tens. Das OLG qua­li­fi­zierte ir­ri­ger­weise die Zu­sage des Vor­stands der Be­klag­ten, die An­teile zurück­zu­neh­men, als recht­lich ver­bind­li­che Ga­ran­tie.

Schließlich be­stan­den auch durch­grei­fende recht­li­che Be­den­ken ge­gen die Ausführun­gen, mit de­nen das Be­ru­fungs­ge­richt die Kau­sa­lität des Ver­hal­tens der Or­gane der Be­klag­ten für den von der Kläge­rin gel­tend ge­mach­ten Scha­den be­jaht hatte. Auf den Nach­weis der kon­kre­ten Kau­sa­lität ei­ner Ka­pi­tal­markt­in­for­ma­tion für den Wil­lens­ent­schluss des je­wei­li­gen An­le­gers kann im Rah­men des An­spruch­stat­be­stan­des des § 826 BGB auch dann nicht ver­zich­tet wer­den, wenn eine Ka­pi­tal­markt­in­for­ma­tion ex­trem un­seriös ist. Eine "ge­ne­relle" - un­abhängig von der Kennt­nis des po­ten­ti­el­len An­le­gers pos­tu­lierte - Kau­sa­lität ei­ner fal­schen Wer­be­aus­sage ist un­ter Schutz­nor­ma­spek­ten un­ver­tret­bar. Im Sinn ei­ner "Dau­erkau­sa­lität" würde sie auf un­ab­seh­bare Zeit je­dem be­lie­bi­gen Er­wer­ber der An­teile zu Gute kom­men, ohne dass des­sen Wil­lens­ent­schließung über­haupt berührt wäre. Eine da­durch be­wirkte Aus­deh­nung der Haf­tung ist im Hin­blick auf den schwer wie­gen­den Vor­wurf der sit­ten­wid­ri­gen Schädi­gung recht­lich un­ver­tret­bar.

Link­hin­weis:
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