Die Parteien sind die Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Im Juli 2010 stimmten die Wohnungseigentümer im Rahmen einer Eigentümerversammlung mit Stimmzetteln über den Beschlussantrag ab, der Verwalterin eine Zusatzvergütung für die Aufarbeitung der Verwaltungsunterlagen zuzubilligen. Die Beiratsvorsitzende öffnete die abgegebenen Stimmzettel, während die Verwalterin die ihr mitgeteilten Ergebnisse in eine Excel-Tabelle eintrug.
Zwei Wohnungseigentümer, die auf ihren bereits abgegebenen Stimmzetteln zunächst Nein angekreuzt hatten, änderten dies zu einem zwischen den Parteien strittigen Zeitpunkt unter Rückforderung ihres Stimmzettels in eine Ja-Stimme und eine Enthaltung ab. Unter Berücksichtigung der geänderten Stimmen verkündete die Versammlungsleiterin, eine Angestellte der Verwalterin, den Antrag als angenommen, da mehr als zwei Drittel der Wohnungseigentümer für den Beschlussantrag gestimmt hätten.
Das AG gab der hiergegen gerichteten Anfechtungsklage statt; das LG wies sie ab. Auf die Revision der Kläger, hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück.
Die Gründe:
Die Auffassung des LG, dass die Stimmabgabe auch noch nach ihrem Zugang bei dem Versammlungsleiter bis zur Verkündung des Abstimmungsergebnisses wirksam widerrufen werden kann, ist unzutreffend. Der Rechtsstreit war nicht zur Entscheidung reif.
Die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt eine Stimmabgabe widerrufen werden kann, ist umstritten. Nach überwiegender Auffassung kommt ein Widerruf der Stimme gem. § 130 Abs. 1 S. 2 BGB nur bis zu ihrem Zugang bei dem Versammlungsleiter in Betracht. Nach anderer Auffassung ist ein Widerruf der Einzelerklärung jedenfalls bis zur Abgabe der letzten Stimme möglich; nach einer weiteren Meinung kann die Stimmabgabe bis zur Feststellung und Verkündung des Beschlusses widerrufen werden. Der Senat hält die Auffassung der herrschenden Meinung für zutreffend. Hierfür spricht die Regelung des § 130 Abs. 1 BGB, die auf die Stimmabgabe als unter Anwesenden abgegebene empfangsbedürftige Willenserklärung sinngemäß Anwendung findet.
Nach § 130 Abs. 1 S. 1 BGB wird eine Willenserklärung mit ihrem Zugang wirksam und bindet den Erklärenden (vgl. § 145 Abs. 1 BGB), weshalb ein Widerruf der Erklärung nach § 130 Abs. 1 S. 2 BGB ab diesem Zeitpunkt ausscheidet. Soweit das LG darauf hinweist, dass Willenserklärungen im Rahmen der §§ 929, 873 Abs. 2 BGB mit Zugang auch noch keine Bindungswirkung entfalteten, vermag hieraus eine Ausnahme für die Stimmabgabe nicht hergeleitet zu werden. Auch der Umstand, dass der Beschluss rechtswirksam erst mit der Feststellung und Verkündung des Beschlussergebnisses zustande kommt, rechtfertigt nicht die freie Widerruflichkeit der Stimmabgabe bis zu diesem Zeitpunkt; denn dann müssten auch Vertragsangebote nach §§ 145 ff. BGB, die allein keinen Vertrag zustande bringen, jederzeit widerruflich sein.
Entgegen der Auffassung des LG besteht auch kein praktisches Bedürfnis, hinsichtlich der Stimmabgabe in der Eigentümerversammlung von der Regelung des § 130 Abs. 1 S. 2 BGB abzuweichen. Ließe man einen Widerruf der Stimmabgabe bis zur Verkündung des Beschlussergebnisses zu, könnte die Feststellung eines Ergebnisses insbes. bei großen Eigentümergemeinschaften erschwert oder gar unmöglich gemacht werden. Es muss einen Zeitpunkt geben, ab dem der Versammlungsleiter damit beginnen kann, das Beschlussergebnis verbindlich festzustellen. Dies ist entsprechend § 130 Abs. 1 S. 1 BGB der Zeitpunkt des Zugangs der jeweiligen Stimme bei dem Versammlungsleiter.
Das Berufungsurteil war aufzuheben und die Sache an das LG zurückzuverweisen, da der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist. Eine Ungültigerklärung des Beschlusses aufgrund des Auszählungsfehlers kommt nur in Betracht, wenn sich bei korrekter Ermittlung des Abstimmungsergebnisses für den zugrunde liegenden Beschlussantrag nicht die erforderliche Mehrheit gefunden hat. Hierzu hat das LG bisher keine Feststellungen getroffen.
Linkhinweis:- Der Volltext der Entscheidung ist auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
- Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.