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BFH zur Erhöhung der tariflichen Einkommensteuer um Kindergeldanspruch trotz vorheriger Ablehnung einer Kindergeldfestsetzung

Urteil des BFH vom 15.3.2012 - III R 82/09

Ab dem Ver­an­la­gungs­zeit­raum 2004 ist bei der Prüfung der Frage, ob der Ab­zug der Kin­der­frei­beträge für den Steu­er­pflich­ti­gen vor­teil­haf­ter ist als das Kin­der­geld, nicht auf das (tatsäch­lich) ge­zahlte Kin­der­geld, son­dern auf den An­spruch auf Kin­der­geld ab­zu­stel­len; das gilt auch dann, wenn ein Kin­der­geld­an­trag trotz des ma­te­ri­ell-recht­li­chen Be­ste­hens des An­spruchs be­standskräftig ab­ge­lehnt wor­den ist. Ein Kin­der­geld-Ab­leh­nungs­be­scheid ent­fal­tet für das Be­steue­rungs­ver­fah­ren keine Tat­be­stands­wir­kung.

Der Sach­ver­halt:
Die Kläger sind Ehe­leute, die für das Streit­jahr 2004 zu­sam­men zur Ein­kom­men­steuer ver­an­lagt wur­den. Sie ha­ben drei ge­mein­same Kin­der. Der Kläger hat aus ers­ter Ehe zwei wei­tere Kin­der, die in Finn­land bei ih­rer leib­li­chen Mut­ter le­ben. Diese be­zog Kin­der­geld für die bei­den Kin­der nach fin­ni­schem Recht. Die Kläge­rin be­an­tragte im Sep­tem­ber 2004 für die drei ge­mein­sa­men Kin­der Kin­der­geld. Die Fa­mi­li­en­kasse wandte sich im De­zem­ber 2004 an die Kläge­rin und bat um die Be­ant­wor­tung ein­zel­ner Fra­gen. Da die Kläge­rin dar­auf nicht rea­gierte, lehnte die Fa­mi­li­en­kasse den Kin­der­geld­an­trag im April 2005 ab. Der Ab­leh­nungs­be­scheid wurde be­standskräftig.

Im Ein­kom­men­steu­er­be­scheid 2004 von De­zem­ber 2007 gewährte das Fi­nanz­amt keine Frei­beträge nach § 32 Abs. 6 EStG 2004, da sich bei der Ver­gleichs­rech­nung nach § 31 EStG er­ge­ben habe, dass das Kin­der­geld, auf das An­spruch be­stan­den habe, den Steu­er­vor­teil über­steige, der bei An­satz der Frei­beträge einträte. Der Be­scheid stand un­ter dem Vor­be­halt der Nachprüfung (§ 164 AO). Die Kläger be­an­trag­ten im März 2008, den Ein­kom­men­steu­er­be­scheid 2004 zu ändern und die Frei­beträge nach § 32 Abs. 6 EStG an­zu­set­zen, und zwar ohne Hin­zu­rech­nung des nicht aus­ge­zahl­ten Kin­der­gel­des. Das Fi­nanz­amt lehnte dies ab.

Im Ver­lauf des an­schließen­den fi­nanz­ge­richt­li­chen Ver­fah­rens er­ließ das Fi­nanz­amt einen Ände­rungs­be­scheid und berück­sich­tigte für den älte­ren der bei­den in Finn­land le­ben­den Söhne des Klägers die Frei­beträge nach § 32 Abs. 6 EStG, weil in­so­weit diese vor­teil­haf­ter seien als die Kin­der­geld­an­sprüche nach fin­ni­schem Recht (Ja­nuar bis Ok­to­ber 2004) und nach deut­schem Recht (No­vem­ber und De­zem­ber 2004).

Das FG wies die Klage, mit der die Kläger die Berück­sich­ti­gung von Frei­beträgen für fünf Kin­der be­gehr­ten, ab. Die Re­vi­sion der Kläger hatte vor dem BFH kei­nen Er­folg.

Die Gründe:
Das FG hat zu­tref­fend ent­schie­den, dass keine wei­te­ren Frei­beträge nach § 32 Abs. 6 EStG bei der Ein­kom­men­steu­er­ver­an­la­gung der Kläger an­zu­set­zen sind.

Die für das Streit­jahr 2004 gel­tende Fas­sung des § 31 S. 4 EStG geht zurück auf das Steuerände­rungs­ge­setz 2003. Bis ein­schließlich des Ver­an­la­gungs­zeit­raums 2003 wa­ren nach § 31 S. 4 EStG a.F. die Frei­beträge nach § 32 Abs. 6 EStG ab­zu­zie­hen, wenn die ge­bo­tene steu­er­li­che Frei­stel­lung des Exis­tenz­mi­ni­mums des Kin­des durch das Kin­der­geld nicht in vol­lem Um­fang be­wirkt wurde; in die­sem Fall war das ge­zahlte Kin­der­geld nach § 36 Abs. 2 S. 1 EStG a.F. der ta­rif­li­chen Ein­kom­men­steuer hin­zu­zu­rech­nen. Auf­grund der Ge­set­zesände­rung ist seit dem Ver­an­la­gungs­zeit­raum 2004 bei der Prüfung der Frage, ob der Ab­zug der Frei­beträge nach § 32 Abs. 6 EStG für den Steu­er­pflich­ti­gen vor­teil­haf­ter ist als das Kin­der­geld, nicht auf das tatsäch­lich ge­zahlte, son­dern auf den An­spruch auf Kin­der­geld ab­zu­stel­len.

Für die Ände­rung des § 31 EStG wa­ren Ge­sichts­punkte der Ver­fah­rens­ver­ein­fa­chung maßge­bend. Nach dem Wil­len des Ge­setz­ge­bers soll­ten ins­bes. Ände­run­gen der Steu­er­fest­set­zung auf­grund ei­ner nachträgli­chen Gewährung von Kin­der­geld ver­mie­den wer­den. Für die Hin­zu­rech­nung von Kin­der­geld ist so­mit der ur­sprüng­li­che, vor Erlöschen be­ste­hende ma­te­ri­ell-recht­li­che Kin­der­geld­an­spruch maßge­bend. We­gen der vom Ge­setz­ge­ber ausdrück­lich ge­woll­ten Ab­kop­pe­lung der Steuer- von der Kin­der­geld­fest­set­zung ist nicht ent­schei­dend, ob der An­spruch tatsäch­lich durch Zah­lung erfüllt wor­den ist. Der Kin­der­geld­an­spruch ist seit dem Ver­an­la­gungs­zeit­raum 2004 un­abhängig von der kin­der­geld­recht­li­chen Be­ur­tei­lung durch die Fa­mi­li­en­kasse hin­zu­zu­rech­nen, wenn die Berück­sich­ti­gung von Frei­beträgen nach § 32 Abs. 6 EStG rech­ne­ri­sch güns­ti­ger ist als der Kin­der­geld­an­spruch.

Der Be­scheid der Fa­mi­li­en­kasse über die Fest­set­zung von Kin­der­geld oder die Ab­leh­nung ei­ner Kin­der­geld­gewährung ent­fal­tet für die Steu­er­fest­set­zung keine Tat­be­stands­wir­kung. Die Tat­be­stands­wir­kung ei­nes Ver­wal­tungs­ak­tes führt dazu, dass die­ser in einem res­sort­frem­den Ver­wal­tungs­ver­fah­ren als ge­ge­ben hin­zu­neh­men und nicht etwa dar­auf­hin zu überprüfen ist, ob er dem ma­te­ri­el­len Recht ent­spricht. Die Fa­mi­li­en­kas­sen sind im Verhält­nis zu den Fi­nanzämtern je­doch keine res­sort­frem­den Behörden. Gem. § 6 Abs. 2 Nr. 6 AO gehören zu den Fi­nanz­behörden i.S.d. AO auch die Fa­mi­li­en­kas­sen. Ein von der Fa­mi­li­en­kasse er­las­se­ner Kin­der­geld-Ab­leh­nungs­be­scheid ist so­mit für die Fi­nanzämter kein res­sort­frem­der Ver­wal­tungs­akt.

Die ur­sprüng­li­chen An­sprüche auf Kin­der­geld nach deut­schem und fin­ni­schem Recht für die drei in Deutsch­land le­ben­den ge­mein­sa­men Kin­der der Kläger bzw. für das jüngere in Finn­land le­bende Kind des Klägers be­lau­fen sich auf einen Be­trag, der die Steu­er­min­de­rung über­steigt, die bei An­satz von vier wei­te­ren Frei­beträgen nach § 32 Abs. 6 EStG entstünde. Das Fi­nanz­amt hat die Frei­beträge so­mit zu Recht nicht berück­sich­tigt.

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