Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger und hatte Ende Juli 2007 rückwirkend ab Mai 2004 Kindergeld für seine in Polen lebenden drei Kinder beantragt. Die Familienkasse lehnte den Antrag unter Hinweis darauf ab, dass der Kläger in Polen sozialversichert sei und dieser Tatbestand einen Anspruch auf deutsches Kindergeld ausschließe. Der Kläger legte im Klageverfahren u.a. eine Bescheinigung seines polnischen Arbeitgebers vor, wonach er ab Januar 2005 für unbestimmte Zeit beschäftigt und ab dem April 2005 an einen ausländischen Betrieb in Deutschland entsandt worden sei. Eine Versicherungspflicht zur BfA bestehe nicht, da Versicherungspflicht in Polen vorliege.
Das FG verpflichtete die Familienkasse hinsichtlich des verbleibenden Streitgegenstands dazu, dem Kläger für seine Kinder Kindergeld für die Zeit ab April 2005 in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Die Familienkasse rügte daraufhin eine unzutreffende Auslegung der Art. 13 und 14 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71. Zu Recht sei das FG zwar davon ausgegangen, dass für den Kläger die VO Nr. 1408/71 gelte. Inkonsequenterweise habe das FG allerdings trotz dieser Feststellung noch § 65 Abs. 1 S. 2 EStG geprüft, der bei Anwendbarkeit der Verordnung von dieser verdrängt werde.
Auf die Revision der Familienkasse hob der BFH das Urteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.
Die Gründe:
Die von dem FG getroffenen Feststellungen konnten nicht die ausgesprochene Rechtsfolge tragen, dass weder durch Art. 14 Nr. 1a u. b der VO Nr. 1408/71 noch durch Art. 17 der VO Nr. 1408/71 die durch Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2a der VO Nr. 1408/71 bewirkte Anwendbarkeit des Rechts des Beschäftigungsstaats Deutschland verdrängt werde. Die bisherigen Feststellungen ermöglichten keine abschließende Entscheidung dazu, ob deutsches oder polnisches Recht auf den Kläger anzuwenden ist.
Zwar hatte das FG zu Recht das auf den Kläger anzuwendende Recht nach den Vorschriften des Titels II der VO Nr. 1408/71 (Art. 13 ff.) bestimmt. Allerdings durfte es, soweit es um die Anwendbarkeit der Regelung des Art. 14 Nr. 1a u. b der VO Nr. 1408/71 für entsandte Arbeitnehmer ging, aus der Tatsache, dass der Kläger ab April 2005 als entsandter Arbeitnehmer tätig war, nicht darauf schließen, dass Art. 14 Nr. 1a u. b der VO Nr. 1408/71 bereits vom Beginn des Entsendungszeitraums nicht eingreifen könne. Ergibt sich aus einer Arbeitgeberbescheinigung, die von einem im Inland als Arbeitnehmer tätigen Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats vorgelegt wird, dass die Entsendung unter Beibehaltung der Sozialversicherung im Heimatland über zwei Jahre gedauert hat, kann daraus nicht geschlossen werden, dass die Entsendungsvoraussetzungen nach Art. 14 Nr. 1a u. b der VO Nr. 1408/71 bereits von Beginn des Entsendungszeitraums an nicht vorgelegen haben können.
Ob die Voraussetzungen der Entsendungsvoraussetzungen gegeben waren, muss das FG unter Ausnutzung aller verfügbaren Beweismittel aufklären. Es darf sich nicht allein auf die Würdigung der Bescheinigung des polnischen Arbeitgebers beschränken, insbesondere wenn das FG - wie offensichtlich hier - Zweifel an der Richtigkeit der Angaben hat und deshalb entgegen dem Wortlaut der Bescheinigung von dem Fehlen der Eigenschaft "entsendeter Arbeitnehmer" mit "Versicherungspflicht in Polen" ausgeht.
Ergeben sich aus der vorgelegten Arbeitgeberbescheinigung Zweifel an dem Vorliegen der Entsendungsvoraussetzungen, ist bei den Trägern und Stellen, die über das auf den Anspruchsteller anzuwendende Recht zu befinden haben, zu ermitteln, welche Rechtsvorschriften im Anspruchszeitraum auf den Anspruchsteller Anwendung fanden. Bestätigt der zuständige Träger des anderen Mitgliedstaats, insbesondere durch Erteilung einer Entsendebescheinigung nach dem Formular E 101, dass für einen bestimmten Zeitraum ein Fall des Art. 14 Nr. 1a oder b der VO Nr. 1408/71 gegeben war, ist diese Bescheinigung für die Familienkasse und das Finanzgericht bindend, solange sie nicht zurückgezogen oder für ungültig erklärt wird.
Sollten die noch erforderlichen Ermittlungen des FG ergeben, dass für einen Teil oder für den gesamten streitigen Zeitraum auf den Kläger polnische Rechtsvorschriften Anwendung finden, stellte sich die Frage, ob Deutschland als der nach der VO Nr. 1408/71 dann nicht zuständige Mitgliedstaat gleichwohl befugt wäre, Kindergeld nach den §§ 62 ff. EStG zu zahlen, und ob in einem solchen Fall der Anwendung des § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG unionsrechtliche Vorschriften entgegenstünden. Insoweit handelte es sich um die gleichen Fragestellungen, die bereits Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens des Senats vom 21.10.2010 (Az.: III R 5/09) sind, so dass eine Aussetzung des finanzgerichtlichen Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH in dem bei diesem anhängigen Verfahren C-612/10 in Betracht kommen könnte.
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