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Außergewöhnliche Belastungen bei Unterbringung einer Jugendlichen in einer Einrichtung der Jugendhilfe

BFH 18.6.2015, VI R 31/14

Men­schen gel­ten i.S.d. § 64 Abs. 1 Nr. 2 S. 1c EStDV i.V.m. § 2 Abs. 1 SGB IX als be­hin­dert, wenn ihre körper­li­che Funk­tion, geis­tige Fähig­keit oder see­li­sche Ge­sund­heit mit ho­her Wahr­schein­lich­keit länger als sechs Mo­nate von dem für das Le­bens­al­ter ty­pi­schen Zu­stand ab­wei­chen und da­her ihre Teil­habe am Le­ben in der Ge­sell­schaft be­einträch­tigt ist. Ob im Ein­zel­fall eine sol­che Be­hin­de­rung vor­liegt, hat das FG auf­grund der ihm ob­lie­gen­den Würdi­gung der Umstände des Ein­zel­falls fest­zu­stel­len.

Der Sach­ver­halt:
Die Kläger sind Ehe­gat­ten. Ihre im Jahr 1994 ge­bo­rene Toch­ter litt in den Streit­jah­ren 2009 und 2010 an ei­ner ein­fa­chen Störung der Kon­zen­tra­tion und Auf­merk­sam­keit so­wie an ei­ner kom­bi­nier­ten Störung des So­zi­al­ver­hal­tens und der Emo­tio­nen. Nach­dem es im häus­li­chen Be­reich auf­grund ag­gres­si­ven Ver­hal­tens der Toch­ter zu mas­si­ven Schwie­rig­kei­ten ge­kom­men war, er­folg­ten von 2007 und 2008 meh­rere sta­tionäre kin­der- und ju­gend­psych­ia­tri­sche Be­hand­lun­gen. Seit Ja­nuar 2009 war die Toch­ter in ei­ner be­treu­ten Mädchen­wohn­gruppe un­ter­ge­bracht. Der Land­kreis gewährte voll­sta­tionäre Ju­gend­hilfe nach dem SGB VIII durch Über­nahme der Ju­gend­hil­fe­kos­ten. Nach Überprüfung der Ein­kom­mens­verhält­nisse der Kläger setzte der Land­kreis Kos­ten­beiträge gem. §§ 91 ff. SGB VIII für die Jahre 2009 2010 fest.

Mit ih­ren Ein­kom­men­steu­er­erklärun­gen für die Streit­jahre be­an­trag­ten die Kläger, den vom Land­kreis fest­ge­setz­ten Kos­ten­bei­trag als außer­gewöhn­li­che Be­las­tun­gen nach § 33 Abs. 1 EStG an­zu­er­ken­nen. Das Fi­nanz­amt berück­sich­tigte die Auf­wen­dun­gen je­doch nicht. Schließlich sei ein vor Be­ginn der Heilmaßnahme aus­ge­stell­tes amts- oder ver­trau­ensärzt­li­ches Gut­ach­ten nicht vor­ge­legt wor­den. Das FG wies die hier­ge­gen ge­rich­tete Klage ab. Auf die Re­vi­sion der Kläger hob der BFH das Ur­teil auf und wies die Klage zur er­neu­ten Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das FG zurück.

Gründe:
Nach den Fest­stel­lun­gen des FG konnte nicht ab­schließend ent­schie­den wer­den, ob die Toch­ter der Kläger vor Be­ginn der frag­li­chen Heilmaßnahme an ei­ner "an­de­ren Be­hin­de­rung" i.S.d. § 64 Abs. 1 Nr. 2 S. 1c EStDV litt.

Für den Be­griff der "Be­hin­de­rung" i.S.d. § 64 Abs. 1 Nr. 2 S. 1c EStDV ist auf § 2 Abs. 1 SGB IX ab­zu­stel­len. Da­nach sind Men­schen be­hin­dert, wenn ihre körper­li­che Funk­tion, geis­tige Fähig­keit oder see­li­sche Ge­sund­heit mit ho­her Wahr­schein­lich­keit länger als sechs Mo­nate von dem für das Le­bens­al­ter ty­pi­schen Zu­stand ab­wei­chen und da­her ihre Teil­habe am Le­ben in der Ge­sell­schaft be­einträch­tigt ist. Zur Fest­stel­lung ei­ner Be­hin­de­rung kann das Ge­sund­heits­pro­blem grundsätz­lich im Rah­men der ICD-10 be­schrie­ben wer­den. Im vor­lie­gen­den Fall kam die An­wen­dung des § 64 Abs. 1 Nr. 2 S. 1c EStDV we­gen ei­ner see­li­schen Be­hin­de­rung in Be­tracht.

See­li­sch be­hin­dert ist, wer in­folge see­li­scher Störung in der Funk­ti­onsfähig­keit ent­spre­chend ge­min­dert ist. Als sol­che see­li­sche Störun­gen kom­men körper­lich nicht begründ­bare Psy­cho­sen, see­li­sche Störun­gen als Folge von Krank­heit oder Ver­let­zung des Ge­hirns, An­falls­lei­den oder körper­li­che Be­einträch­ti­gun­gen, Sucht­krank­hei­ten, Neu­ro­sen und Persönlich­keitsstörun­gen in Be­tracht. Eine Be­hin­de­rung nach § 2 Abs. 1 SGB IX setzt zu­dem eine mehr als sechs Mo­nate sich er­stre­ckende Ge­sund­heitsstörung vor­aus. Ent­schei­dend ist in­so­weit nicht die seit Be­ginn der Er­kran­kung oder gar seit ih­rer erst­ma­li­gen ärzt­li­chen Fest­stel­lung ab­ge­lau­fene Zeit, son­dern die ih­rer Art nach zu er­war­tende Dauer der von ihr aus­ge­hen­den Funk­ti­ons­be­einträch­ti­gung.

Ob im Ein­zel­fall eine Be­hin­de­rung i.S.d. § 64 Abs. 1 Nr. 2 S. 1c EStDV i.V.m. § 2 Abs. 1 SGB IX vor­liegt, hat das FG auf­grund der ihm ob­lie­gen­den Würdi­gung der Umstände des Ein­zel­falls fest­zu­stel­len. Im vor­lie­gen­den Fall tru­gen die tatsäch­li­chen Fest­stel­lun­gen des FG nicht des­sen Würdi­gung, dass die Toch­ter der Kläger an ei­ner "an­de­ren (see­li­schen) Be­hin­de­rung" litt. Zwar wa­ren die Würdi­gung des FG, dass bei der Toch­ter der Kläger eine Be­einträch­ti­gung der see­li­schen Ge­sund­heit vor­liegt, die mit ho­her Wahr­schein­lich­keit länger als sechs Mo­nate an­dau­ert, re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den. Es fehl­ten je­doch nach­voll­zieh­bare Fest­stel­lun­gen zu den wei­te­ren Tat­be­stands­merk­ma­len des § 2 Abs. 1 SGB IX, nämlich zu den Fra­gen, ob die see­li­sche Ge­sund­heit der Toch­ter von dem für das Le­bens­al­ter ty­pi­schen Zu­stand ab­weicht und ob eine Teil­ha­be­be­einträch­ti­gung vor­liegt bzw. droht.

Link­hin­weis:

  • Der Voll­text der Ent­schei­dung ist auf der Home­page des BFH veröff­ent­licht.
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