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Steuerberatung

Anforderungen an Aufzeichnungspflichten bei § 4 Abs. 3 EStG

BFH 12.7.2017, X B 16/17

In einem 54 Sei­ten um­fas­sen­den Aus­set­zungs­be­schluss hat der BFH ausführ­lich zu den An­for­de­run­gen bei Ge­winn­er­mitt­lung durch Ein­nahme - Über­schuss­rech­nung (§ 4 Abs. 3 EStG) und Ver­wen­dung ei­ner of­fe­nen La­den­kasse so­wie zur Zulässig­keit ei­ner sog. Quan­tils­schätzung Stel­lung ge­nom­men.

Der Sach­ver­halt:
Der An­trag­stel­ler er­zielte in den Streit­jah­ren 2008 bis 2010 ge­werb­li­che Einkünfte aus ei­ner Gaststätte, de­ren Ge­winn er durch Ein­nah­men-Über­schuss-Rech­nung er­mit­telte. Das Fi­nanz­amt führte bei ihm eine Außenprüfung für die Streit­jahre durch, in de­ren Ver­lauf es zu der Ein­schätzung kam, die Kas­senführung sei nicht ord­nungs­gemäß. Die vollständige Er­fas­sung der Bar­ein­nah­men sei nicht überprüfbar. So sei we­der fest­stell­bar, ob sämt­li­che Ein­zel­beträge auf den Ta­ges­ein­nah­men-Zet­teln no­tiert wor­den seien, noch sei bei den Zet­teln si­cher­ge­stellt, dass sie vollständig und nicht nachträglich aus­tausch­bar seien. Es sei nicht do­ku­men­tiert, ob der Kas­sen­be­stand täglich durch tatsäch­li­ches Auszählen er­mit­telt wor­den sei. Auch sei nicht glaub­haft, dass die ge­le­gent­li­chen Schließungs­tage der Gaststätte aus­ge­rech­net auf Sams­tage ent­fie­len, an de­nen der An­trag­stel­ler im Durch­schnitt die höchs­ten Ta­ges­ein­nah­men er­ziele.

Der Prüfer er­mit­telte die Höhe der Hin­zu­schätzung mit­tels der sog. "Quan­tils­schätzung". An­hand der Spei­se­kar­ten er­mit­telte der Prüfer, dass die Preise ab 2009 um durch­schnitt­lich 17 % erhöht wor­den seien. Da­her nahm er eine sog. "Kon­junk­tur­be­rei­ni­gung" vor und legte dem Zeit­rei­hen­ver­gleich für die Jahre 2009 und 2010 nicht die tatsäch­li­chen Erlöse zu­grunde, son­dern sol­che Werte, die erst nach Vor­nahme ei­nes Zu­schlags von 17 % den tatsäch­li­chen Erlösen ent­spre­chen würden. Für sein wei­te­res Vor­ge­hen un­ter­stellte der Prüfer, dass bei Da­tensätzen, die der Gauß'schen Nor­mal­ver­tei­lung genügten, 68,27 % der Da­tensätze in­ner­halb der ers­ten Stan­dard­ab­wei­chung lägen und "da­mit am wahr­schein­lichs­ten" seien. dar­auf­hin er­ließ das Fi­nanz­amt ent­spre­chend geänderte Ein­kom­men­steuer- und Um­satz­steuer-Fest­set­zun­gen für die Jahre 2008 bis 2010, einen geänder­ten Ge­wer­be­steu­er­mess­be­scheid für 2008 so­wie erst­ma­lige Ge­wer­be­steu­er­mess­be­scheide für 2009 und 2010.

Während des ge­richt­li­chen AdV-Ver­fah­rens gewährte die Behörde AdV für einen Teil der für das Streit­jahr 2008 an­ge­for­der­ten Nach­zah­lun­gen. In Höhe der ver­blei­ben­den an­ge­for­der­ten Beträge lehnte das FG den Aus­set­zungs­an­trag ab. Die hier­ge­gen ge­rich­tete Be­schwerde hatte zum über­wie­gen­den Teil vor dem BFH Er­folg.

Gründe:
Hin­sicht­lich des lau­fen­den Gaststätten­be­triebs be­ste­hen der­zeit ernst­li­che Zwei­fel an ei­ner Schätzungs­be­fug­nis des Fi­nanz­am­tes.

Die Er­geb­nisse im Rah­men der sum­ma­ri­schen Prüfung des Aus­set­zungs­ver­fah­rens las­sen sich wie folgt zu­sam­men­fas­sen:

1. Eine Auf­be­wah­rung von Ta­ges­sum­men-Be­le­gen mit Ein­zel­auf­zeich­nung der Erlöse und Sum­men­bil­dung kann, so­fern im Be­trieb keine wei­te­ren Ur­sprungs­auf­zeich­nun­gen an­ge­fal­len sind, in Fällen der Ein­nah­men-Über­schuss-Rech­nung und Ver­wen­dung ei­ner of­fe­nen La­den­kasse den for­mel­len An­for­de­run­gen an die Auf­zeich­nun­gen genügen.

2. Die Recht­spre­chung, wo­nach Ein­zel­auf­zeich­nun­gen der Erlöse in be­stimm­ten Fällen aus Zu­mut­bar­keitsgründen nicht geführt wer­den müssen, ist nicht auf Ein­zelhänd­ler be­schränkt, son­dern kann auch auf Klein - Dienst­leis­ter an­wend­bar sein.

3. Die An­for­de­run­gen, die der BFH be­reits bis­lang an die Durchführung ei­nes Zeit­rei­hen­ver­gleichs ge­stellt hat (BFH v. 25.3. 2015 - X R 20/13), gel­ten auch dann, wenn die Er­geb­nisse des Zeit­rei­hen­ver­gleichs durch Vor­nahme ei­ner Quan­tils­schätzung zur Begründung der Schätzungshöhe her­an­ge­zo­gen wer­den. Da­bei schließt eine während des Prüfungs­zeit­raums vor­ge­nom­mene Preis­erhöhung um 26 % es im Re­gel­fall aus, einen durch­ge­hen­den Zeit­rei­hen­ver­gleich für die Zeit vor und nach der Preis­erhöhung vor­zu­neh­men.

4. Of­fen bleibt wei­ter­hin, ob die mo­nat­li­chen Roh­ge­winn­auf­schlagsätze, die von der Soft­ware der Fi­nanz­ver­wal­tung ge­schätzt wer­den, der Gauß'schen Nor­mal­ver­tei­lung fol­gen, und ob die in einem übli­chen Prüfungs­zeit­raum (drei Jahre mit 36 Mo­nats-Ein­zel­wer­ten) er­ho­bene Grund­ge­samt­heit groß ge­nug für die An­wen­dung der bei ei­ner Gauß'schen Nor­mal­ver­tei­lung gel­ten­den Ge­setzmäßig­kei­ten ist.

Die An­for­de­run­gen, die die bis­he­rige BFH-Recht­spre­chung an die Durchführung ei­nes Zeit­rei­hen­ver­gleichs ge­stellt hat, gel­ten bei sum­ma­ri­scher Be­trach­tung im Aus­set­zungs­ver­fah­ren auch dann, wenn die Er­geb­nisse des Zeit­rei­hen­ver­gleichs durch Vor­nahme ei­ner Quan­tils­schätzung zur Begründung der Schätzungshöhe her­an­ge­zo­gen wer­den. Da­nach ist der Zeit­rei­hen­ver­gleich in Fällen, in de­nen keine ma­te­ri­el­len Mängel der Auf­zeich­nun­gen fest­stell­bar sind, grundsätz­lich nach­ran­gig zu an­de­ren Schätzungs­me­tho­den. Das Fi­nanz­amt hat hier die feh­lende Eig­nung an­de­rer Me­tho­den aber bis­her nicht hin­rei­chend dar­ge­legt. Darüber hin­aus be­stan­den Zwei­fel, ob der Prüfer den Zeit­rei­hen­ver­gleich im Streit­fall tech­ni­sch kor­rekt durch­geführt hatte. Außer­dem ist der­zeit nicht zu er­ken­nen, wes­halb ge­rade der von der Quan­tils­schätzungs-Soft­ware der Fi­nanz­ver­wal­tung aus­ge­wor­fene Wert "am wahr­schein­lichs­ten" sein soll.

Link­hin­weis:

  • Der Voll­text der Ent­schei­dung ist auf der Home­page des BFH veröff­ent­licht.
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