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Umsatzsteuer im Insolvenzeröffnungsverfahren

BFH 24.9.2014, V R 48/13

Be­stellt das In­sol­venz­ge­richt einen vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ter mit all­ge­mei­nem Zu­stim­mungs­vor­be­halt und mit Recht zum For­de­rungs­ein­zug, sind Steu­er­be­trag und Vor­steu­er­ab­zug für die Leis­tun­gen, die der Un­ter­neh­mer bis zur Ver­wal­ter­be­stel­lung er­bracht oder be­zo­gen hat, nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG zu be­rich­ti­gen. Glei­ches gilt für den Steu­er­be­trag und den Vor­steu­er­ab­zug aus Leis­tun­gen, die das Un­ter­neh­men da­nach bis zum Ab­schluss des In­sol­ven­zeröff­nungs­ver­fah­rens er­bringt oder be­zieht.

Der Sach­ver­halt:
Der Kläger ist In­sol­venz­ver­wal­ter über das Vermögen ei­ner 1999 gegründe­ten KG, die Spe­di­ti­ons­leis­tun­gen er­brachte. Im Ok­to­ber 2011 be­an­tragte die KG die Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens we­gen Zah­lungs­unfähig­keit und Über­schul­dung. Das In­sol­venz­ge­richt be­stellte dar­auf­hin den Kläger zum vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ter (§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 InsO) und ord­nete an, dass Verfügun­gen der KG über Ge­genstände ih­res Vermögens nur noch mit Zu­stim­mung des Klägers wirk­sam sind (§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Fall 2 InsO). Das In­sol­venz­ge­richt ver­bot zu­dem den Schuld­nern der KG, an diese zu zah­len und ermäch­tigte den Kläger, Bank­gut­ha­ben und sons­tige For­de­run­gen der KG ein­zu­zie­hen so­wie ein­ge­hende Gelder ent­ge­gen­zu­neh­men. Die Schuld­ner der KG wur­den auf­ge­for­dert, nur noch un­ter Be­ach­tung die­ser An­ord­nung zu leis­ten (§ 23 Abs. 1 S. 3 InsO). Das In­sol­venz­ge­richt un­ter­sagte auch Maßnah­men der Zwangs­voll­stre­ckung ge­gen die KG (§ 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO).

Die KG führte ih­ren Ge­schäfts­be­trieb zunächst wei­ter, da In­sol­venz­geld vor­fi­nan­ziert wurde und der Kläger Ge­spräche mit den Haupt­auf­trag­ge­bern führte. Die bei der Stel­lung des In­sol­venz­an­trags of­fe­nen For­de­run­gen der KG i.H.v. rd. 40.000 € konn­ten im In­sol­ven­zeröff­nungs­ver­fah­ren bis Ende De­zem­ber 2011 i.H.v. rd. 37.000 € ein­ge­zo­gen wer­den. Die KG stellte ih­ren Ge­schäfts­be­trieb zum 31.12.2011 ein und kündigte mit Zu­stim­mung des Klägers die noch be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nisse. Das In­sol­venz­ge­richt eröff­nete das In­sol­venz­ver­fah­ren durch Be­schluss vom 1.1.2012. Die KG hatte be­reits am 9.12.2011 Um­satz­steu­er­vor­an­mel­dun­gen für die Mo­nate Ok­to­ber und No­vem­ber 2011 ab­ge­ge­ben.

Das FG wies die Klage ab. Auf die Re­vi­sion der Kläge­rin hob der BFH das Ur­teil auf und ver­wies die Sa­che zur an­der­wei­ti­gen Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das FG zurück.

Die Gründe:
Die Re­vi­sion des Klägers ist aus an­de­ren als den gel­tend ge­mach­ten Gründen begründet.

Ent­ge­gen dem Ur­teil des FG kommt es für die An­wen­dung von § 55 Abs. 4 InsO auf die recht­li­chen Be­fug­nisse an, die dem vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ter zu­ste­hen. Ist Zu­stim­mungs­vor­be­halt an­ge­ord­net (§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 22 Abs. 2 InsO) und ist der vorläufige In­sol­venz­ver­wal­ter zum For­de­rungs­ein­zug be­rech­tigt, ent­steht die Mas­se­ver­bind­lich­keit nach § 55 Abs. 4 InsO in­so­weit, als der vorläufige In­sol­venz­ver­wal­ter Ent­gelte aus Leis­tun­gen des Un­ter­neh­mers ver­ein­nahmt. Da­bei sind vom vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ter ver­an­lasste Zah­lun­gen auf zum Vor­steu­er­ab­zug be­rech­ti­gende Leis­tungs­bezüge mas­se­ver­bind­lich­keits­min­dernd zu berück­sich­ti­gen. Es ist im In­sol­ven­zeröff­nungs­ver­fah­ren nicht zwi­schen den vor und nach der Ver­wal­ter­be­stel­lung er­brach­ten oder be­zo­ge­nen Leis­tun­gen zu un­ter­schei­den.

Nach § 55 Abs. 4 InsO gel­ten Ver­bind­lich­kei­ten des In­sol­venz­schuld­ners aus dem Steu­er­schuld­verhält­nis, die von einem vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ter oder vom Schuld­ner mit Zu­stim­mung ei­nes vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ters begründet wor­den sind, nach Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens als Mas­se­ver­bind­lich­keit. Ver­bind­lich­kei­ten wer­den vom vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ter oder vom Schuld­ner mit Zu­stim­mung des vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ters nur im Rah­men der für den vorläufi­gen Ver­wal­ter be­ste­hen­den recht­li­chen Be­fug­nisse begründet. § 55 Abs. 4 InsO ord­net an, dass be­stimmte Steu­er­an­sprüche, die durch oder mit Zu­stim­mung ei­nes vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ters im Zeit­raum nach sei­ner Be­stel­lung bis zur In­sol­ven­zeröff­nung begründet wor­den sind, im eröff­ne­ten In­sol­venz­ver­fah­ren als Mas­se­ver­bind­lich­kei­ten gel­ten. Sie sind dann - an­ders als bloße In­sol­venz­for­de­run­gen - vor­ran­gig zu be­frie­di­gen.

Nicht ge­folgt wer­den kann der Sicht­weise der Fi­nanz­ver­wal­tung, die § 55 Abs. 4 InsO auf Steu­er­ver­bind­lich­kei­ten an­wen­det, die auf Umsätzen be­ru­hen, de­nen der schwa­che vorläufige In­sol­venz­ver­wal­ter nicht wi­der­spro­chen hat. Statt­des­sen ist die Vor­schrift nur nach Maßgabe der für den vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ter be­ste­hen­den recht­li­chen Be­fug­nisse an­zu­wen­den. Diese be­zie­hen sich al­ler­dings im Re­gel­fall nicht auf Leis­tun­gen durch den in­sol­venz­be­droh­ten Un­ter­neh­mer, son­dern auf den For­de­rungs­ein­zug und da­mit auf das Recht des vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ters, Ent­gelte für um­satz­steu­er­pflich­tige Leis­tun­gen ein­zu­zie­hen.

Die Be­stel­lung ei­nes vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ters, zu des­sen Guns­ten ein all­ge­mei­ner Zu­stim­mungs­vor­be­halt be­steht und der vom In­sol­venz­ge­richt ermäch­tigt wird, die Ent­gelt­for­de­run­gen des Un­ter­neh­mers ein­zu­zie­hen, führt al­ler­dings dazu, dass das Ent­gelt un­ein­bring­lich wird und die Um­satz­steuer nicht mehr er­ho­ben wer­den kann. Wird nach­fol­gend durch den vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ter trotz­dem Ent­gelt ver­ein­nahmt, ent­steht der Steu­er­an­spruch als Mas­se­ver­bind­lich­keit neu.

Hin­ter­grund:
Es han­delt sich um die er­ste Ent­schei­dung ei­nes obers­ten Bun­des­ge­richts zu dem seit 2011 gel­ten­den § 55 Abs. 4 InsO. Die Ent­schei­dung klärt eine für die Pra­xis wich­tige Streit­frage und ist im In­sol­ven­zeröff­nungs­ver­fah­ren al­ler Un­ter­neh­mer, die um­satz­steu­er­pflich­tige Leis­tun­gen er­brin­gen, von großer Be­deu­tung, da § 55 Abs. 4 InsO die Steu­er­schuld zur Mas­se­ver­bind­lich­keit auf­wer­tet.

Link­hin­weis:

  • Der Voll­text der Ent­schei­dung ist auf der Home­page des BFH veröff­ent­licht.
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