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Aussetzung der Vollziehung in Bauträgerfällen

BFH 27.1.2016, V B 87/15

Die Rechtmäßig­keit von gem. § 27 Abs. 19 UStG geänder­ten Um­satz­steu­er­be­schei­den ist ernst­lich zwei­fel­haft. Es ist auch ernst­lich zwei­fel­haft, ob der in der Per­son des Bau­leis­ten­den nach § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG ent­stan­dene Steu­er­an­spruch auf­grund der Ver­wal­tungs­an­wei­sung in Ab­schn. 13b.3. Abs. 10 UStAE ent­spre­chend § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 UStG un­ein­bring­lich ge­wor­den ist.

Der Sach­ver­halt:
Der An­trag­stel­ler be­trieb eine Zim­me­rei. In den Streit­jah­ren (2011 bis 2013) er­brachte er Bau­leis­tun­gen für Grundstücke der HG-GmbH (Bauträger). Diese ver­wen­dete die Leis­tun­gen aus­schließlich zur Ausführung steu­er­freier Umsätze nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG. Der An­trag­stel­ler rech­nete ge­genüber der HG-GmbH für die in den Streit­jah­ren er­brach­ten und im Aus­set­zungs­ver­fah­ren strei­ti­gen Bau­leis­tun­gen - un­ter Hin­weis auf § 13b UStG - ohne Um­satz­steu­er­aus­weis ab. Die auf die Bau­leis­tun­gen ent­fal­lende Um­satz­steuer be­hielt die HG-GmbH nach § 13b Abs. 5 S. 2 UStG als Leis­tungs­empfänge­rin ein und führte diese - als ver­meint­li­che Steu­er­schuld­ne­rin und ohne Recht auf Vor­steu­er­ab­zug - an das Fi­nanz­amt ab.

Nach Veröff­ent­li­chung des Ur­teils des BFH vom 22.8.2013 (V R 37/10) for­derte die HG-GmbH Mitte 2014 die auf die Bau­leis­tun­gen ent­fal­lende Um­satz­steuer für die Streit­jahre vom Fi­nanz­amt zurück. Ein Wech­sel der Steu­er­schuld­ner­schaft sei nicht ein­ge­tre­ten. Dem folgte das Fi­nanz­amt und er­ließ zu­guns­ten der HG-GmbH geänderte Steu­er­be­scheide. Ge­genüber dem An­trag­stel­ler änderte das Fi­nanz­amt die Um­satz­steu­er­fest­set­zun­gen für 2011 gem. § 164 AO und erhöhte die Um­satz­steuer ent­spre­chend. Hier­ge­gen legte der An­trag­stel­ler Ein­spruch ein, über den noch nicht ent­schie­den ist. Die zu­gleich be­an­tragte Aus­set­zung der Voll­zie­hung (AdV) lehnte das Fi­nanz­amt ab.

Das FG wies den An­trag auf Voll­zie­hungs­aus­set­zung ab. Auf die Be­schwerde des An­trag­stel­lers hob der BFH den Be­schluss des FG auf und setzte die die Voll­zie­hung der Um­satz­steu­er­be­scheide vorläufig aus.

Die Gründe:
Es be­ste­hen ernst­li­che Zwei­fel, ob der An­trag­stel­ler den Steu­er­be­trag für die an die HG-GmbH er­brach­ten Leis­tun­gen im Streit­zeit­raum schul­det.

Für die Streit­jahre 2011 und 2012 be­ste­hen ernst­li­che Zwei­fel an der Ver­fas­sungsmäßig­keit des § 27 Abs. 19 S. 2 UStG. Der be­schließende Se­nat folgt in­so­weit dem BFH-Be­schluss vom 17.12.2015 (XI B 84/15), auf den zur Ver­mei­dung von Wie­der­ho­lun­gen ver­wie­sen wird. Darüber hin­aus ist für alle Streit­jahre, also auch für das Jahr der erst­ma­li­gen Ver­an­la­gung (2013), ernst­lich zwei­fel­haft, ob der in der Per­son des An­trag­stel­lers begründete Steu­er­an­spruch be­reits in den Streit­jah­ren un­ein­bring­lich ge­wor­den sein könnte. Un­ter Berück­sich­ti­gung der Grundsätze der Rechts­si­cher­heit, des Ver­trau­ens­schut­zes und von Treu und Glau­ben ist es ernst­lich zwei­fel­haft, ob der fest­ge­setzte Steu­er­an­spruch be­steht, da er auf­grund ei­ner Be­rich­ti­gung ent­spre­chend § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 UStG be­reits für den ge­sam­ten Streit­zeit­raum ent­fal­len sein könnte.

Die Vor­aus­set­zun­gen für eine un­mit­tel­bare An­wen­dung von § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 UStG lie­gen zwar nicht vor. Un­ein­bring­lich im Sinne der Vor­schrift ist nicht das ver­ein­barte Ent­gelt, son­dern al­len­falls der sich auf die Leis­tung be­zie­hende Steu­er­be­trag. Eine ent­spre­chende An­wen­dung des § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 UStG könnte dem­ge­genüber auf der durch die Ver­wal­tungs­an­wei­sung ver­ur­sach­ten Un­ein­bring­lich­keit des ma­te­ri­ell-recht­lich ge­schul­de­ten Steu­er­be­trags be­ru­hen. Der An­trag­stel­ler und die HG-GmbH ha­ben als Ge­gen­leis­tung für die von ihm zu er­brin­gen­den Leis­tun­gen ein Ent­gelt ohne Um­satz­steuer ver­ein­bart und da­mit eine sog. Net­to­ab­rede ge­trof­fen.

Ursäch­lich dafür war die im Streit­zeit­raum in Ab­schn. 182a Abs. 11 UStR 2005 (so auch: Ab­schn. 13b.1. Abs. 19 UStAE 2010/2011, und Ab­schn. 13b.3. Abs. 10 UStAE 2012/2013) nie­der­ge­legte Ver­wal­tungs­auf­fas­sung. Die für eine ent­spre­chende An­wen­dung der Norm er­for­der­li­che Re­ge­lungslücke mag darin lie­gen, dass mit § 27 Abs. 19 UStG le­dig­lich eine ver­fah­rens­recht­li­che Vor­schrift ge­schaf­fen wurde, die nur im Rah­men ei­ner Ände­rung des Steu­er­be­scheids - nicht aber auch bei erst­ma­li­gen Steu­er­fest­set­zun­gen - an­wend­bar ist. Bei ent­spre­chen­der An­wen­dung von § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 und 2 UStG hat der An­trag­stel­ler die an die HG-GmbH er­brach­ten Leis­tun­gen erst dann zu ver­steu­ern, wenn er den dar­auf ent­fal­len­den Um­satz­steu­er­be­trag ver­ein­nahmt. Zu er­heb­li­chen Steu­er­ausfällen käme es dann nicht. Der Rück­for­de­rung der - zu Un­recht an das Fi­nanz­amt ab­geführ­ten - Um­satz­steuer durch den Leis­tungs­empfänger könnte eine ent­spre­chend § 17 Abs. 1 S. 1 und 2 UStG - zeit­gleich auch beim Leis­tungs­empfänger - vor­zu­neh­mende Be­rich­ti­gung ent­ge­gen­ste­hen. Auch in­so­weit kann im Steu­er­schuld­verhält­nis der Grund­satz von Treu und Glau­ben zu berück­sich­ti­gen sein.

Die vom Bauträger und Bau­un­ter­neh­mer übe­rein­stim­mend - ent­spre­chend der da­ma­li­gen Ver­wal­tungs­auf­fas­sung an­ge­nom­mene Steu­er­schuld des Bauträgers - ent­fiele dann ent­spre­chend § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 UStG erst auf­grund ei­ner Zah­lung des Steu­er­be­trags durch den Bauträger (Leis­tungs­empfänger) an den Bau­un­ter­neh­mer (Leis­ten­der). Im Fall ei­ner Ab­tre­tung kann die Zah­lung auch an den Steu­ergläubi­ger als Zes­sio­nar (Ab­tre­tungs­empfänger) er­fol­gen (§ 27 Abs. 19 S. 3 und 4 UStG). An­ge­sichts die­ser un­geklärten Rechts­lage war die be­an­tragte AdV für alle Streit­jahre zu gewähren. Die Ent­schei­dung die­ser schwie­ri­gen Rechts­frage muss dem Haupt­sa­che­ver­fah­ren vor­be­hal­ten blei­ben.

Link­hin­weis:

  • Der Voll­text der Ent­schei­dung ist auf der Home­page des BFH veröff­ent­licht.
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