Der Sachverhalt:
Der Antragsteller betrieb eine Zimmerei. In den Streitjahren (2011 bis 2013) erbrachte er Bauleistungen für Grundstücke der HG-GmbH (Bauträger). Diese verwendete die Leistungen ausschließlich zur Ausführung steuerfreier Umsätze nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG. Der Antragsteller rechnete gegenüber der HG-GmbH für die in den Streitjahren erbrachten und im Aussetzungsverfahren streitigen Bauleistungen - unter Hinweis auf § 13b UStG - ohne Umsatzsteuerausweis ab. Die auf die Bauleistungen entfallende Umsatzsteuer behielt die HG-GmbH nach § 13b Abs. 5 S. 2 UStG als Leistungsempfängerin ein und führte diese - als vermeintliche Steuerschuldnerin und ohne Recht auf Vorsteuerabzug - an das Finanzamt ab.
Das FG wies den Antrag auf Vollziehungsaussetzung ab. Auf die Beschwerde des Antragstellers hob der BFH den Beschluss des FG auf und setzte die die Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide vorläufig aus.
Die Gründe:
Es bestehen ernstliche Zweifel, ob der Antragsteller den Steuerbetrag für die an die HG-GmbH erbrachten Leistungen im Streitzeitraum schuldet.
Für die Streitjahre 2011 und 2012 bestehen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 27 Abs. 19 S. 2 UStG. Der beschließende Senat folgt insoweit dem BFH-Beschluss vom 17.12.2015 (XI B 84/15), auf den zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird. Darüber hinaus ist für alle Streitjahre, also auch für das Jahr der erstmaligen Veranlagung (2013), ernstlich zweifelhaft, ob der in der Person des Antragstellers begründete Steueranspruch bereits in den Streitjahren uneinbringlich geworden sein könnte. Unter Berücksichtigung der Grundsätze der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes und von Treu und Glauben ist es ernstlich zweifelhaft, ob der festgesetzte Steueranspruch besteht, da er aufgrund einer Berichtigung entsprechend § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 UStG bereits für den gesamten Streitzeitraum entfallen sein könnte.
Die Voraussetzungen für eine unmittelbare Anwendung von § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 UStG liegen zwar nicht vor. Uneinbringlich im Sinne der Vorschrift ist nicht das vereinbarte Entgelt, sondern allenfalls der sich auf die Leistung beziehende Steuerbetrag. Eine entsprechende Anwendung des § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 UStG könnte demgegenüber auf der durch die Verwaltungsanweisung verursachten Uneinbringlichkeit des materiell-rechtlich geschuldeten Steuerbetrags beruhen. Der Antragsteller und die HG-GmbH haben als Gegenleistung für die von ihm zu erbringenden Leistungen ein Entgelt ohne Umsatzsteuer vereinbart und damit eine sog. Nettoabrede getroffen.
Ursächlich dafür war die im Streitzeitraum in Abschn. 182a Abs. 11 UStR 2005 (so auch: Abschn. 13b.1. Abs. 19 UStAE 2010/2011, und Abschn. 13b.3. Abs. 10 UStAE 2012/2013) niedergelegte Verwaltungsauffassung. Die für eine entsprechende Anwendung der Norm erforderliche Regelungslücke mag darin liegen, dass mit § 27 Abs. 19 UStG lediglich eine verfahrensrechtliche Vorschrift geschaffen wurde, die nur im Rahmen einer Änderung des Steuerbescheids - nicht aber auch bei erstmaligen Steuerfestsetzungen - anwendbar ist. Bei entsprechender Anwendung von § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 und 2 UStG hat der Antragsteller die an die HG-GmbH erbrachten Leistungen erst dann zu versteuern, wenn er den darauf entfallenden Umsatzsteuerbetrag vereinnahmt. Zu erheblichen Steuerausfällen käme es dann nicht. Der Rückforderung der - zu Unrecht an das Finanzamt abgeführten - Umsatzsteuer durch den Leistungsempfänger könnte eine entsprechend § 17 Abs. 1 S. 1 und 2 UStG - zeitgleich auch beim Leistungsempfänger - vorzunehmende Berichtigung entgegenstehen. Auch insoweit kann im Steuerschuldverhältnis der Grundsatz von Treu und Glauben zu berücksichtigen sein.
Die vom Bauträger und Bauunternehmer übereinstimmend - entsprechend der damaligen Verwaltungsauffassung angenommene Steuerschuld des Bauträgers - entfiele dann entsprechend § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 UStG erst aufgrund einer Zahlung des Steuerbetrags durch den Bauträger (Leistungsempfänger) an den Bauunternehmer (Leistender). Im Fall einer Abtretung kann die Zahlung auch an den Steuergläubiger als Zessionar (Abtretungsempfänger) erfolgen (§ 27 Abs. 19 S. 3 und 4 UStG). Angesichts dieser ungeklärten Rechtslage war die beantragte AdV für alle Streitjahre zu gewähren. Die Entscheidung dieser schwierigen Rechtsfrage muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Linkhinweis:
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