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Zur Änderung eines Bescheids wegen irriger Sachverhaltsbeurteilung

BFH 25.10.2016, X R 31/14

Die Ände­rung ei­nes Ein­kom­men­steu­er­be­scheids gem. § 174 Abs. 4 AO we­gen der ir­ri­gen Be­ur­tei­lung des Sach­ver­halts in einem an­de­ren Be­scheid, wel­cher auf In­itia­tive des Steu­er­pflich­ti­gen zu sei­nen Guns­ten geändert wurde, ist nicht aus­ge­schlos­sen, wenn das Fi­nanz­amt bei Er­lass des ur­sprüng­li­chen Be­scheids ("aus Ver­ein­fa­chungsgründen") wis­sent­lich feh­ler­haft ge­han­delt hat. Der Steu­er­pflich­tige soll viel­mehr im Fall sei­nes Ob­sie­gens mit einem ge­wis­sen Rechts­stand­punkt an die­ser Auf­fas­sung fest­ge­hal­ten wer­den, so­weit der­selbe Sach­ver­halt zu be­ur­tei­len ist.

Der Sach­ver­halt:
Die Kläge­rin hatte im Au­gust 2011 mit ih­rer ge­gen den Ein­kom­men­steu­er­be­scheid 2004 ge­rich­te­ten Klage Er­folg. Das FG stellte fest, dass Er­stat­tungsüberhänge bei der Kir­chen­steuer auch "aus Ver­ein­fa­chungsgründen" nicht in das jüngste Zah­lungs­jahr zurück­ge­tra­gen wer­den könn­ten, son­dern dem je­wei­li­gen Zah­lungs­jahr zu­zu­ord­nen seien. Da­mit wa­ren nach An­sicht des Ge­rich­tes im Ver­an­la­gungs­zeit­raum 2004 we­ni­ger Er­stat­tungsüberhänge ver­re­chen­bar. Das Fi­nanz­amt änderte dar­auf­hin im De­zem­ber 2011 den Ein­kom­men­steu­er­be­scheid 2004 den Vor­ga­ben des Ur­teils ent­spre­chend. Die nicht berück­sich­tig­ten Er­stat­tungsüberhänge über­trug es auf die wei­te­ren Zah­lungs­jahre und änderte im April 2012 gem. § 174 Abs. 4 AO die Ein­kom­men­steu­er­be­scheide 2000 bis 2003 zu Un­guns­ten der Kläge­rin.

Die Kläge­rin war der Auf­fas­sung, beim Er­lass des geänder­ten Ein­kom­men­steu­er­be­scheids 2004 im Sep­tem­ber 2009 sei für die Ver­an­la­gungs­zeiträume 2000 bis 2003 be­reits Fest­set­zungs­verjährung ein­ge­tre­ten ge­we­sen. Eine Ände­rung sei nur bis zum Ab­lauf der Fest­set­zungs­frist für 2004 und da­mit bis zur Rechts­kraft des Ur­teils im Herbst 2011 zulässig ge­we­sen. Ein Hin­aus­schie­ben der durch ein rück­wir­ken­des Er­eig­nis geänder­ten Fest­set­zungs­frist sei auch nicht durch Be­zug­nahme auf § 174 Abs. 4 AO möglich, da diese Vor­schrift im Streit­fall nicht an­wend­bar sei, weil die feh­ler­hafte Er­fas­sung des Sach­ver­halts nicht auf ei­ner ir­ri­gen Be­ur­tei­lung des Fi­nanz­am­tes be­ruht habe.

Das FG gab der Klage statt. Auf die Re­vi­sion des Fi­nanz­am­tes hob der BFH das Ur­teil auf und wies die Klage ab.

Gründe:
Das FG hatte zu Un­recht ent­schie­den, dass das Fi­nanz­amt die Ein­kom­men­steu­er­be­scheide 2000 bis 2003 nicht gem. § 174 Abs. 4 AO hätte ändern dürfen. Die Vor­aus­set­zun­gen des § 174 Abs. 4 AO wa­ren im Streit­fall nämlich erfüllt.

Zwar geht ein Teil des Fach­schrift­tums und der Fi­nanz­ge­richts­bar­keit da­von aus - wor­auf die Kläge­rin und das FG auch hin­ge­wie­sen hat­ten -, dass es an ei­ner irrtümli­chen Be­ur­tei­lung i.S.d. § 174 Abs. 4 AO fehle, wenn die Fi­nanz­behörde den Feh­ler vor Er­lass des Steu­er­be­scheids er­kenne, den Steu­er­be­scheid aber gleich­wohl un­verändert, also be­wusst feh­ler­haft er­lasse. Dem­ge­genüber ha­ben so­wohl der V. Se­nat als auch der IV. Se­nat be­reits ausdrück­lich ent­schie­den, eine Ände­rung we­gen der ir­ri­gen Be­ur­tei­lung des Sach­ver­halts in einem an­de­ren Be­scheid sei auch nicht des­halb aus­ge­schlos­sen, weil das Fi­nanz­amt in­so­weit vorsätz­lich feh­ler­haft ge­han­delt habe.

Der er­ken­nende Se­nat schließt sich die­ser Recht­spre­chung an. Die Ände­rung ei­nes Ein­kom­men­steu­er­be­scheids gem. § 174 Abs. 4 AO we­gen der ir­ri­gen Be­ur­tei­lung des Sach­ver­halts in einem an­de­ren Be­scheid, wel­cher auf In­itia­tive des Steu­er­pflich­ti­gen zu sei­nen Guns­ten geändert wurde, ist nicht aus­ge­schlos­sen, wenn das Fi­nanz­amt bei Er­lass des ur­sprüng­li­chen Be­scheids wis­sent­lich feh­ler­haft ge­han­delt hat. Der Steu­er­pflich­tige soll viel­mehr im Fall sei­nes Ob­sie­gens mit einem ge­wis­sen Rechts­stand­punkt an die­ser Auf­fas­sung fest­ge­hal­ten wer­den, so­weit der­selbe Sach­ver­halt zu be­ur­tei­len ist.

Würde ge­for­dert, dass die Fi­nanz­ver­wal­tung auch sub­jek­tiv der Auf­fas­sung ge­we­sen sein müsse, nicht rechts­wid­rig zu han­deln, müsste die Behörde - da es sich dann um eine Vor­aus­set­zung für ihre Ände­rungs­be­fug­nis han­delt - je­weils dar­le­gen und recht­fer­ti­gen, wa­rum sie die sich später als rich­tig her­aus­stel­lende Auf­fas­sung nicht be­reits bei Er­lass des feh­ler­haf­ten Steu­er­be­scheids ver­tre­ten hatte. Es dürfte im Re­gel­fall je­doch er­heb­li­che Schwie­rig­kei­ten be­rei­ten, die Erwägun­gen dar­auf­hin zu überprüfen, ob sie un­ter kei­nen Umständen ver­tret­bar ge­we­sen sind, um ein be­wusst feh­ler­haf­tes Han­deln aus­zu­schließen.

Die Ände­rung der Steu­er­fest­set­zun­gen 2000 bis 2003 ver­stieß auch nicht ge­gen den Grund­satz von Treu und Glau­ben. Ein Ver­stoß war ins­be­son­dere nicht dem kon­kre­ten Ver­fah­ren­sab­lauf zu ent­neh­men. Zwar wusste das Fi­nanz­amt seit der Ein­kom­men­steu­er­ver­an­la­gung 2005, dass ein Kir­chen­steu­er­er­stat­tungsüber­hang ge­ge­ben war und so­mit die Ein­kom­men­steu­er­fest­set­zun­gen früherer Ver­an­la­gungs­zeiträume zu ändern wa­ren. Die ge­setz­li­che Fest­set­zungs­verjährung für die da­von be­trof­fe­nen Ver­an­la­gun­gen trat aber erst zum 31.12.2011 ein. Dass die Behörde erst zwei Jahre nach Kennt­nis, aber im­mer noch in­ner­halb der Fest­set­zungs­frist, die ers­ten Schluss­fol­ge­run­gen aus dem Er­stat­tungsüber­hang ge­zo­gen und die Ein­kom­men­steu­er­be­scheide für die Jahre 2004 und 2003 geändert hatte, führte je­doch noch zu kei­nem Ver­stoß ge­gen Treu und Glau­ben.

Link­hin­weis:

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