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BFH zu den Voraussetzungen für eine Kindergeldberechtigung wegen Behandlung als nach § 1 Abs. 3 EStG unbeschränkt Steuerpflichtiger

Urteil des BFH vom 24.5.2012 - III R 14/10

Eine Kin­der­geld­be­rech­ti­gung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG setzt vor­aus, dass der An­spruch­stel­ler auf­grund ei­nes ent­spre­chen­den An­trags vom zuständi­gen Fi­nanz­amt nach § 1 Abs. 3 EStG als un­be­schränkt ein­kom­men­steu­er­pflich­tig be­han­delt wird. Diese Aus­le­gung berührt nicht die Selbständig­keit des Ver­fah­rens der Kin­der­geld­fest­set­zung ge­genüber dem Ver­fah­ren der Ein­kom­men­steu­er­fest­set­zung.

Der Sach­ver­halt:
Die Kläge­rin ist die Mut­ter zweier 1993 und 1996 ge­bo­re­ner Töchter, für die sie bis ein­schließlich Fe­bruar 2007 inländi­sches Kin­der­geld be­zog. Seit 1988 ist die Kläge­rin bei der F-AG als Flug­be­glei­te­rin be­schäftigt. Der Fa­mi­li­en­wohn­sitz der Kläge­rin, ih­res ita­lie­ni­schen Ehe­man­nes und der bei­den ge­mein­sa­men Töchter be­fin­det sich seit Au­gust 1999 in Ita­lien. Da­ne­ben ist die Kläge­rin in der Woh­nung ih­rer Mut­ter in Deutsch­land mit Haupt­wohn­sitz ge­mel­det.

Im Jahr 2007 hielt sie sich auf­grund ih­rer Be­rufstätig­keit an ins­ge­samt 53 Ta­gen im In­land auf. Zu ih­rer Tätig­keit reiste sie je­weils von Ita­lien aus nach Deutsch­land, und kehrte da­nach wie­der un­mit­tel­bar an ih­ren Wohn­sitz in Ita­lien zurück. Je­den­falls für das Jahr 2007 hatte we­der die Kläge­rin noch ihr Ehe­mann in Ita­lien An­spruch auf Kin­der­geld für die bei­den Töchter.Ihre Ein­kom­men­steu­er­erklärun­gen für die Jahre 2005 bis 2007 gab die Kläge­rin je­weils un­ter An­gabe der Adresse ih­rer Mut­ter beim Fi­nanz­amt ab, das sie je­weils un­ter An­nahme ei­ner un­be­schränk­ten Ein­kom­men­steu­er­pflicht gem. § 1 Abs. 1 des EStG zur Ein­kom­men­steuer ver­an­lagte.

Die be­klagte Fa­mi­li­en­kasse hob die Fest­set­zung des Kin­der­gel­des ab März 2007 auf. Zur Begründung führte sie aus, nach § 62 EStG habe An­spruch auf Kin­der­geld, wer sei­nen Wohn­sitz oder gewöhn­li­chen Auf­ent­halt in Deutsch­land habe oder im Aus­land wohne, aber in Deutsch­land un­be­schränkt ein­kom­men­steu­er­pflich­tig sei oder als un­be­schränkt ein­kom­men­steu­er­pflich­tig be­han­delt werde. Diese An­spruchs­vor­aus­set­zun­gen seien nicht ge­ge­ben.

Das FG trennte das Ver­fah­ren hin­sicht­lich des Kin­der­geld­an­spruchs ab Ja­nuar 2008 ab. Hin­sicht­lich des Kin­der­geld­an­spruchs für März bis De­zem­ber 2007 gab es der Klage statt. Auf die Re­vi­sion der Fa­mi­li­en­kasse hob der BFH das Ur­teil auf und wies die Klage ab.

Die Gründe:
Das FG ist zu Un­recht da­von aus­ge­gan­gen, dass die Kläge­rin zum Kreis der An­spruchs­be­rech­tig­ten nach § 62 Abs. 1 EStG gehört.

Nach § 62 Abs. 1 EStG hat An­spruch auf Kin­der­geld nach dem EStG u.a., wer im In­land einen Wohn­sitz oder sei­nen gewöhn­li­chen Auf­ent­halt hat oder wer ohne Wohn­sitz oder gewöhn­li­chen Auf­ent­halt im In­land nach § 1 Abs. 3 EStG als un­be­schränkt ein­kom­men­steu­er­pflich­tig be­han­delt wird. Vor­lie­gend hatte die Kläge­rin im Streit­zeit­raum we­der einen Wohn­sitz noch ih­ren gewöhn­li­chen Auf­ent­halt im In­land. Die Kläge­rin ist auch nicht An­spruchs­be­rech­tigte i.S.d. § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG. An­ders als bei § 62 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. a EStG macht das Ge­setz bei § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG die An­spruchs­be­rech­ti­gung von der ein­kom­men­steu­er­recht­li­chen Be­hand­lung des An­trag­stel­lers abhängig.

Dies er­gibt sich zum einen aus dem Wort­laut der Vor­schrift. Dort wird vor­aus­ge­setzt, dass der An­spruch­stel­ler nach § 1 Abs. 3 EStG als un­be­schränkt ein­kom­men­steu­er­pflich­tig be­han­delt "wird". Wäre es dem Ge­setz­ge­ber nicht dar­auf an­ge­kom­men, dass der Steu­er­pflich­tige tatsäch­lich von dem Fi­nanz­amt als un­be­schränkt ein­kom­men­steu­er­pflich­tig be­han­delt wird, so hätte er for­mu­lie­ren müssen "Für Kin­der hat An­spruch auf Kin­der­geld nach die­sem Ge­setz, wer ohne Wohn­sitz oder gewöhn­li­chen Auf­ent­halt im In­land (bei ent­spre­chen­der An­trag­stel­lung) nach § 1 Abs. 3 als un­be­schränkt ein­kom­men­steu­er­pflich­tig zu be­han­deln wäre".

Des Wei­te­ren spricht auch der Norm­zu­sam­men­hang mit § 1 Abs. 3 EStG für diese Aus­le­gung. An­ders als die zwin­gend vor­ge­se­hene un­be­schränkte Steu­er­pflicht nach § 1 Abs. 1 und Abs. 2 EStG wird als un­be­schränkt steu­er­pflich­tig nach § 1 Abs. 3 EStG nur der­je­nige be­han­delt, der einen ent­spre­chen­den An­trag für einen be­stimm­ten Ver­an­la­gungs­zeit­raum bei dem zuständi­gen Fi­nanz­amt ge­stellt hat. Stellt der An­trag­stel­ler in einem Ver­fah­ren, das auf Fest­set­zung des Kin­der­gel­des ge­rich­tet ist, da­ge­gen einen "An­trag nach § 1 Abs. 3 EStG" ge­genüber der Fa­mi­li­en­kasse, wird hier­durch die Rechts­folge des § 1 Abs. 3 EStG nicht aus­gelöst.

Über­dies zeigt die - auch von dem FG an­ge­nom­mene - zeit­li­che Be­schränkung des An­trags­rechts durch die Grenze der Fest­set­zungs­verjährung, dass die Be­hand­lung des An­trag­stel­lers durch die Fa­mi­li­en­kasse nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG nicht un­abhängig von der Be­hand­lung durch das Fi­nanz­amt er­fol­gen kann. Auch Gründe der Prak­ti­ka­bi­lität spre­chen dafür, dass in kin­der­geld­recht­li­cher Hin­sicht nur der­je­nige als i.S.d. § 1 Abs. 3 EStG fik­tiv un­be­schränkt steu­er­pflich­tig an­zu­se­hen ist, der auch durch das zuständige Fi­nanz­amt so be­han­delt wird. So wird bspw. ver­hin­dert, dass der An­trag­stel­ler ge­genüber Fi­nanz­amt und Fa­mi­li­en­kasse un­ter­schied­li­che An­ga­ben ma­chen kann.

Diese Aus­le­gung berührt nicht die Selbständig­keit des Ver­fah­rens der Kin­der­geld­fest­set­zung ge­genüber dem Ver­fah­ren der Ein­kom­men­steu­er­fest­set­zung. Denn an­ders als bei § 62 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. a EStG sieht § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG be­reits in sei­nem Tat­be­stand eine Abhängig­keit der Kin­der­geld­be­rech­ti­gung von der ein­kom­men­steu­er­recht­li­chen Be­hand­lung des An­trag­stel­lers vor. So­weit der Se­nat in dem Ur­teil in BFH/NV 2009, 564, auf das sich das FG gestützt hat, im Rah­men ei­nes obi­ter dic­tums eine an­dere Auf­fas­sung ver­tre­ten hat, wird hieran nicht mehr fest­ge­hal­ten.

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