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Ist der Lieferantenkredit noch zu retten?

BGH ver­schärft Vor­aus­set­zun­gen des Vor­lie­gens ei­ner Zah­lungs­ein­stel­lung und führt seine harte Recht­spre­chungs­li­nie zu Las­ten der Lie­fe­ran­ten in 2016 fort.

Lie­fe­ran­ten se­hen sich zu­neh­mend mit der Frage kon­fron­tiert, ob und un­ter wel­chen Umständen sie mit ih­ren Kun­den zur Überbrückung ei­nes Li­qui­ditätseng­pas­ses noch Zah­lungs­ver­ein­ba­run­gen ab­schließen oder die­sen Zah­lungs­er­leich­te­run­gen gewähren können, ohne einem An­fech­tungs­ri­siko in ei­ner späte­ren In­sol­venz ih­res Kun­den aus­ge­setzt zu sein.

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Will der Lie­fe­rant sei­nem in Zah­lungs­schwie­rig­kei­ten ste­cken­den Kun­den Zah­lungs­er­leich­te­run­gen zu­kom­men las­sen, steckt er in einem Di­lemma. Er­wei­sen sich die Zah­lungs­schwie­rig­kei­ten des Kun­den in der zeit­li­chen Ab­folge nur als tem­porär, ist al­les gut. Nicht je­doch, wenn sich die Zah­lungs­schwie­rig­kei­ten fort­set­zen und zur In­sol­venz des Kun­den führen. Die­ses Pro­blem trifft im Übri­gen nicht nur die Lie­fe­ran­ten, son­dern sämt­li­che un­terstützungs­wil­li­gen Gläubi­ger des Kun­den, hier sit­zen alle im sel­ben an­fech­tungs­recht­li­chen Boot.

Der BGH hat in 2016 in drei Ur­tei­len (25.2.2016, IX ZR 109/15, 9.6.2016, IX ZR 174/15) und 16.6.2016, IX ZR 23/15) durch die De­fi­ni­tion wei­te­rer In­di­zien für das Vor­lie­gen ei­ner Zah­lungs­ein­stel­lung die Kennt­nis des Lie­fe­ran­ten vom Be­nach­tei­li­gungs­vor­satz des Kun­den zu Las­ten des Lie­fe­ran­ten ver­scho­ben. Er ist da­bei dem ge­setz­ge­be­ri­schen Ziel der recht­zei­ti­gen Ver­fah­ren­seröff­nung in den Fällen, in de­nen es sich lie­fe­ran­ten­sei­tig eben nicht nur um vorüber­ge­hende, son­dern struk­tu­rell begründete Zah­lungs­schwie­rig­kei­ten in Form ei­ner vor­lie­gen­den (dro­hen­den) Zah­lungs­unfähig­keit han­delt, kon­se­quent wei­ter ge­folgt.

In der nach­fol­gen­den Über­sicht sind die von der Recht­spre­chung des BGH ge­nann­ten In­di­zien für das Vor­lie­gen ei­ner Zah­lungs­ein­stel­lung - zu­sam­men­ge­fasst nach den zen­tra­len Kri­te­rien - dar­ge­stellt:

Keine bzw. schlep­pende Zah­lun­gen des Kun­den

  • Nicht­zah­lung von Strom­rech­nun­gen
  • Nicht­be­glei­chung von So­zi­al­ver­si­che­rungs­beiträgen
  • zurück­ge­ge­bene Last­schrif­ten
  • Mah­nun­gen
  • Pfändun­gen oder Voll­stre­ckun­gen durch den Ge­richts­voll­zie­her
  • eine dau­er­haft schlep­pende Zah­lungs­weise
  • Vor­sich­her­schie­ben ei­ner Bug­welle
  • ein sich im­mer wie­der er­neu­ern­der oder sich ständig oder sprung­haft vergrößern­der Zah­lungsrück­stand ohne nen­nens­werte Til­gung
Keine Re­ak­tion des Kun­den auf Zah­lungs­auf­for­de­run­gen
  • mo­na­te­lan­ges völli­ges Schwei­gen des Schuld­ners auf die Rech­nun­gen und vielfälti­gen Mah­nun­gen
Nicht­ein­hal­tung von Zah­lungs­ver­ein­ba­run­gen durch den Kun­den
  • nicht ein­ge­hal­tene Zah­lungs­zu­sa­gen
  • verspätete Zah­lun­gen wer­den nach nicht ein­ge­hal­te­nen Zah­lungs­zu­sa­gen nur un­ter dem Druck ei­ner an­ge­droh­ten Lie­fer­sperre vor­ge­nom­men
Of­fen­ba­rung der Zah­lungs­unfähig­keit durch den Kun­den
  • ei­gene Erklärun­gen des Kun­den, seine fälli­gen Zah­lungs­ver­pflich­tun­gen nicht be­glei­chen zu können, auch wenn sie mit ei­ner Stun­dungs­bitte ver­se­hen sind
  • Ankündi­gung des Kun­den, seine in den Vor­mo­na­ten deut­lich an­ge­wach­se­nen fälli­gen Ver­bind­lich­kei­ten, im Falle des Zu­flus­ses neuer Mit­tel, nur durch eine Ein­mal­zah­lung und zwan­zig fol­gende Mo­nats­ra­ten be­glei­chen zu können
Bit­ten des Kun­den um Ra­ten­zah­lun­gen außer­halb der Ge­pflo­gen­hei­ten des übli­chen Ge­schäfts­ver­kehrs
  • Bitte des Kun­den um Ra­ten­zah­lung ver­bun­den mit der Erklärung, seine fälli­gen Ver­bind­lich­kei­ten (an­ders) nicht be­glei­chen zu können
  • Ra­ten­zah­lungs­bitte nach frucht­lo­sen Mah­nun­gen und nicht ein­ge­hal­te­nen Zah­lungs­zu­sa­gen
Un­ter Druck set­zen des Kun­den durch den Lie­fe­ran­ten
  • An­dro­hung oder Verhängung ei­ner Lie­fer­sperre
  • An­dro­hung der frist­lo­sen Kündi­gung von Miet­verträgen und der Kündi­gung ein­zel­ner Verträge
  • An­dro­hung, ein vom Kun­den be­stell­tes Pro­dukt nur zu lie­fern, wenn eine nachträgli­che Be­si­che­rung der For­de­run­gen und eine Ab­schlag­zah­lung er­folgt
  • ernst­haf­tes Ein­for­dern von An­sprüchen bei Leis­tungs­emp­fang, wenn diese verhält­nismäßig hoch sind und be­kannt ist, dass der Kunde nicht in der Lage ist, die For­de­run­gen zu erfüllen

Hinweis

Die Recht­spre­chung zum An­fech­tungs­recht ist mitt­ler­weile nicht nur um­fang­reich son­dern auch äußerst kom­plex. Ohne recht­li­che Be­ra­tung ist es Lie­fe­ran­ten wohl kaum mehr möglich, (Rück­zah­lungs-)Ri­si­ken aus ge­plan­ten oder be­reits gewähr­ten Zah­lungs­er­leich­te­run­gen für Kun­den ein­zu­schätzen.

Sind we­gen Zah­lungs­schwie­rig­kei­ten des Kun­den Zah­lungs­ver­ein­ba­run­gen oder in sons­ti­ger Weise Zah­lungs­er­leich­te­run­gen für ihn ge­plant, ist sorgfältig ab­zuwägen, ob die Ur­sa­che hierfür in einem of­fen­sicht­lich nur vorüber­ge­hen­den Li­qui­ditätseng­pass oder in ei­ner struk­tu­rel­len fi­nan­zi­el­len Krise beim Kun­den begründet ist.

Es ist höchstrich­ter­lich nicht geklärt, was ein Gläubi­ger als Nach­weis er­brin­gen muss, da­mit er von ei­ner nur vorüber­ge­hen­den Zah­lungs­schwie­rig­keit des Kun­den aus­ge­hen kann, die durch die vor­ge­se­hene Zah­lungs­er­leich­te­rung be­sei­tigt wird. Drin­gend zu emp­feh­len ist, dass vom Lie­fe­ran­ten der be­last­bare Nach­weis ei­nes un­vor­ein­ge­nom­me­nen sach­verständi­gen Drit­ten er­bracht wird, wo­nach es sich le­dig­lich um eine sol­che han­delt und mit der Zah­lungs­er­leich­te­rung eine po­si­tive Fort­be­ste­hens­pro­gnose vor­liegt. Fer­ner soll­ten auch die Umstände, die zu die­sen Zah­lungs­schwie­rig­kei­ten geführt ha­ben und wie diese wie­der be­ho­ben wer­den, nach­ge­wie­sen sein. Hier emp­fiehlt es sich ent­spre­chend dem IDW Stan­dard: Be­ur­tei­lung des Vor­lie­gens von In­sol­ven­zeröff­nungsgründen (IDW S 11) vor­zu­ge­hen, der auf­grund sei­ner kon­ser­va­ti­ven Sicht­weise dem Lie­fe­ran­ten hierfür größtmögli­che Si­cher­heit bie­tet.

Da­bei kann nach­fol­gende Mus­ter­glie­de­rung des zu er­brin­gen­den Nach­wei­ses ver­wen­det wer­den:
I. Zah­lungs­unfähig­keit
     A.  Grund­la­gen zur Be­ur­tei­lung der Zah­lungs­unfähig­keit
          1.  Ab­gren­zung Zah­lungs­unfähig­keit/Zah­lungs­sto­ckung
          2.  Zah­lungs­ein­stel­lung 
     B.  Fi­nanz­sta­tus und Fi­nanz­plan als Grund­lage zur Be­ur­tei­lung der Zah­lungs­unfähig­keit
          1.  Fi­nanz­sta­tus
              a)  Fällig­keit der Ver­bind­lich­kei­ten
              b)  Fi­nanz­mit­tel
              c)  (Zwi­schen-)Er­geb­nis
          2.  Fi­nanz­plan
              a)  Fi­nanz­sta­tus nach längs­tens drei Wo­chen und pro­zen­tua­ler Schwel­len­wert
              b)  Fi­nanz­sta­tus in Aus­nah­mefällen nach längs­tens drei bis sechs Mo­na­ten
              c)  Zwi­schen­er­geb­nis
          3. Er­geb­nis
II. Über­schul­dung
     A. De­fi­ni­tion
     B. Fort­be­ste­hens­pro­gnose
          1. Pro­gno­se­zeit­raum
          2. Fi­nanz­pla­nung und Pla­nungsprämis­sen
          3. Be­ur­tei­lung
III. Dro­hende Zah­lungs­unfähig­keit
     A. De­fi­ni­tion
     B. Pro­gno­se­zeit­raum
     C. Fi­nanz­pla­nung und Pla­nungsprämis­sen
     D. Be­ur­tei­lung

Kann die Kennt­nis des Lie­fe­ran­ten vom Be­nach­tei­li­gungs­grund­satz des Kun­den nicht aus­ge­schlos­sen wer­den (was in An­be­tracht der um­fas­sen­den Recht­spre­chung des BGH zur Zah­lungs­ein­stel­lung re­gelmäßig der Fall sein dürfte) oder stellt sich her­aus, dass  meh­rere Gläubi­ger des Kun­den zu Un­terstützungsmaßnah­men auf­ge­for­dert sind, emp­fiehlt es sich, ein Sa­nie­rungs­kon­zept vom Kun­den zu ver­lan­gen, das eine bal­dige Be­sei­ti­gung von In­sol­ven­zeröff­nungsgründen und nach­hal­tige Ge­sun­dung in schlüssi­ger Weise vor­sieht. Der Lie­fe­rant, der die (dro­hende) Zah­lungs­unfähig­keit des Kun­den und die Be­nach­tei­li­gung der übri­gen Gläubi­ger kennt, muss im Zwei­fel dar­le­gen können, dass er spätere Zah­lun­gen auf der Grund­lage ei­nes schlüssi­gen Sa­nie­rungs­kon­zep­tes er­langt hat. Ein nach den An­for­de­run­gen des IDW S 6 er­stell­tes Gut­ach­ten bie­tet die Si­cher­heit, dass alle An­for­de­run­gen des BGH im Sa­nie­rungs­kon­zept Berück­sich­ti­gung fin­den. An die Kennt­nis des Lie­fe­ran­ten sind zwar nicht die glei­chen An­for­de­run­gen zu stel­len wie an die des Kun­den. Ein po­si­ti­ves Gut­ach­ten nach dem IDW Stan­dard S 6 zu ver­lan­gen, ist je­doch wei­ter­hin der si­cher­ste Weg, um ins­be­son­dere An­fech­tungs­ri­si­ken zu ver­mei­den.

Die vor­ge­se­hene Re­form der Ab­sichts­an­fech­tung wird in der Pra­xis für die Fälle, in de­nen nach der Rechts­spre­chung des BGH Zah­lungs­ein­stel­lung vor­liegt, kaum Be­deu­tung er­lan­gen. Ein merk­li­cher Rück­gang der In­sol­venz­an­fech­tun­gen ist erst zu er­war­ten, wenn bei wirt­schaft­li­chen oder fi­nan­zi­el­len Schief­la­gen von Un­ter­neh­men frühzei­ti­ger als bis­her von Un­ter­neh­mens­seite - und so­weit nach der Recht­spre­chung des BGH auch von Gläubi­ger­seite er­for­der­lich - auf die Ein­lei­tung er­for­der­li­cher Re­struk­tu­rie­rungs- bzw. Sa­nie­rungsmaßnah­men hin­ge­wirkt wird, was auch die Sa­nie­rungs­chan­cen der Un­ter­neh­men er­heb­lich vergrößern würde.

Hinweis

Vgl. hierzu auch Bern­hard Stef­fan, Ist der Lie­fe­ran­ten­kre­dit noch zu ret­ten?, ZIP 2016, S. 2147 ff.

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